Am 22. Juli 2011 wurden in Oslo acht Menschen mit einer Autobombe getötet. Anschließend fuhr der Täter, als Polizist verkleidet, auf die Insel Utøya. Dort rief er die Teilnehmer*innen des Sommercamps der Arbeiter-Jugendliga (Jugendorganisation der sozialdemokratischen Partei Norwegens AUF) zusammen, angeblich um sie über den Anschlag zu informieren. Dann eröffnete er unvermittelt das Feuer und tötete weitere 69 Menschen.
Die Chronik fasst den Ablauf der Ereignisse zusammen.
Mittwoch 19. Juli
Beginn des Feriencamps unserer Schwesterorganisation Abeidernes Ungdomsfylkingem (AUF) auf der Insel Utøya circa 40 km entfernt von Oslo. Es befinden sich über 600 Personen auf der Insel.
Donnerstag 21. Juli
Norwegens Außenminister Jons Gahr Store besucht einen Tag vor dem Attentat das Sommercamp. Die Sonne scheint, die Stimmung ist gelöst. Die Teilnehmerin Janin beschreibt die Stimmung in eigenen Worten:
“Die Tage davor waren sehr sonnig und wir sind sehr oft baden gegangen. Es gab eine kleine Badestelle auf der Insel. Dort sind wir sehr oft hingegangen. Abends gab es dann Filmabende, Discoabende wo man sich dann einfach zusammen in das Kaffeehaus gesetzt hat, in die große Halle. Dort hatten wir auch Karaokeabend, z.B. den Abend davor. Das war richtig, richtig toll. Es war auch spannen, viele Politiker kennenzulernen. Oder auch die Leiter der Bezirke, die es in Norwegen gibt und auch die vielen Menschen zu treffen, mit denen man die selben Interessen teilt. Wir haben gemeinsam die Insel erkundet. Das waren so die Tage davor.“ (Janin)
Freitag 22. Juli
15:25 Uhr
Eine Detonationen erschüttern das Zentrum der norwegischen Hauptstadt Oslo. Regierungsgebäude, aber auch Gebäude der größten norwegischen Boulevardzeitung werden stark beschädigt. Rauch steigt auf, die Lage ist zunächst völlig unklar.
15:30 Uhr
Die etwa 600 Jugendlichen auf Utøya hören erste Nachrichten von dem Anschlag in der etwa 30 Kilometer entfernten Hauptstadt Oslo.
“Wir haben am Nachmittag draußen vor dem Zelt aufgeregtes Getuschel gehört. Die Menschen waren nicht mehr so glücklich, wie wir es die Tage davor erlebt hatten. Elisabeth ist dann rausgegangen und wollte nachsehen, was da los ist. Sie kam dann ein paar Minuten später wieder rein und meinte zu mir, dass es in Oslo eine Explosion gegeben hat. Mein erster Gedanke war mein Vater. Er hatte eine Baustelle in Oslo und ich habe mir sehr viele sorgen um ihn gemacht. Ich wollte ihn sofort anrufen.” (Janin)
gegen 16:30 Uhr
Die Teilnehmer*innen empfangen auf ihren Smartphones Bilder des Anschlags in Oslo. Viele versammeln sich in einem Gebäude und diskutieren darüber.
16:57 Uhr
Den Fährführer auf Thorbjorn erreicht eine Nachricht dass ein Polizist den Fährtransport vom Festland nach Utøya erwünscht.
17:00 Uhr
Die Polizei hält in Oslo eine Pressekonferenz zur Explosion in der Innenstadt ab. Die Rettungskräfte arbeiten mit Hochdruck, es gibt erste Meldungen über Tote. Ministerpräsident Jens Stoltenberg ist in Sicherheit gebracht worden.
Gleichzeitig gibt sich ein Mann gegenüber der Leiterin des Sommercamps Monica Bøsei als Polizist aus, der zur Sicherheit der Teilnehmer*innen abgestellt wurde. Er begibt sich gemeinsam mit der Leiterin auf die Insel Utøya.
Gemeinsam mit Monica begibt er sich zum Haupthaus der Insel, wo sie auf Trond Berntsen, den Sicherheitsmann des Sommercamps treffen.
17:10 Uhr
Jugendliche, die sich in der Mitte der Insel versammelt haben, hören vom Ufer her kommender Knall und Panik-Geräusche. Zunächst vermuten sie, es handle sich um Feuerwerk. Als ihnen klar wird, dass geschossen wird, bricht Chaos aus. Mehrere Jugendliche rufen eine Notrufnummer an. Dort wird ihnen jedoch erklärte, sie sollten die Leitung nicht blockieren, falls ihr Anruf nicht mit dem Anschlag in Oslo zu tun habe.
“Ich stand immer noch vor der Cafeteria, als ich die ersten Schüsse gehört habe. Ich habe es erst gar nicht als Schüsse wahrgenommen und wusste auch gar nicht, wie sowas klingt. Ich dachte, dass es ein Feuerwerk ist. Dass da irgendjemand mit China-Krachern vor sich hin experimentiert. Im ersten Moment war ich sauer, weil ich mir dachte, hier sind Leute, die machen sich sorgen um ihre Eltern und irgendeiner meint jetzt hier Party machen zu wollen. Dann haben Leute draußen geschrieben und ich bin dann in die kleine Halle zurück und wollte nachsehen, wo diese Geräusche herkommen. Dann habe ich auf dem Zeltplatz einen Polizisten gesehen.“ (Janin)
17:15 Uhr
Der Täter erreicht das Gelände, auf dem die Zelte stehen, geht diese systematisch ab und schießt aus kurzer Distanz auf alle, die er dort vorfindet.
17:20 Uhr
Eine Gruppe versteckt sich in einer dunklen Ecke in einem der wenigen Gebäude auf der Insel.
“Die Leute sind in das Gebäude reingerannt. Eine Freundin von Elisabeth und mir, Leyla, ist rausgegangen und zu ihm. So wie ich Leyla kenne, hat sie versucht ihn zu stoppen. Sie hatte einen sehr, sehr starken Gerechtigkeitssinn. Gewalt war für sie immer die letzte Lösung. Sie hat ihn angesprochen. Was sie genau gesagt hat, habe ich erst im Nachhinein erfahren. Sie soll wohl gesagt haben: Stopp! Nicht schießen. Er hat ihr dann einfach in den Kopf geschossen. Sie ist umgefallen und ich hab erstmal gar nicht realisiert, was ich gesehen habe und was passiert. Ich bin instinktiv zur Tür gerannt, welche die große von der kleinen Halle trennt. Ich stand dann da erstmal im Schock bis ich er auch rein gekommen ist. Er hat einfach wahllos auf alle Leute geschossen hat, die in dieser kleinen Halle waren.” (Janin)
17:25 Uhr
Der Täter befindet sich in der Cafeteria und schießt auf alle Personen in der kleinen und großen Halle. Die Jugendlichen flüchten durch ein Fenster. Einige von ihnen schreiben Textnachrichten an ihre Eltern.
“Menschen sind aus den Fenstern gesprungen und haben Verletzungen in Kauf genommen. Sie wollten nur noch raus. Die Toiletten waren voll mit Menschen, die sich dort versteckt hielten. Ich bin dann durch den Gang und habe noch einmal zurückgeschaut und habe Elisabeth am Boden liegen sehen. Ich dachte dann, ok, sie stellt sich tot. Schlau war sie eigentlich schon immer und bin dann einfach nur noch gerannt.“ (Janin)
17:27 Uhr wird von der norwegischen Polizei offiziell als Zeitpunkt des ersten Notrufs angegeben. Die Polizei in Oslo wird drei Minuten später benachrichtigt.
17.30 Uhr
Die Jugendlichen fliehen in Richtung der Ufer, einige springen ins kalte Wasser, um sich schwimmend in Sicherheit zu bringen. Der Täter schießt auf alles, was sich bewegt.
17:38 Uhr
Der Polizeidistrikt Oslo erhält eine Bitte um Unterstützung von Buskerud. Sie brechen von Oslo nach Utøya auf. Die Einsatzleitung entscheidet, über Land zu fahren, da ein Hubschrauber offenbar nicht unmittelbar einsatzbereit ist.
17:45 Uhr
Der Besitzer eines gegenüber der Insel gelegenen Campingplatzes hört eigenen Angaben zufolge seit mehr als einer halben Stunde Schüsse. Doch erst jetzt wird ihm klar, dass sich auf der Insel etwas Schreckliches abspielen muss. Erste Überlebende erreichen schwimmend das etwa 800 Meter von Utøya entfernte Ufer. Sie berichten, dass andere noch im Wasser angeschossen wurden und vermutlich ertrinken würden. Der Besitzer des Campingplatzes und einige Urlauber*innen fahren mit mehreren kleinen Booten in Richtung der Insel, um Überlebende zu retten.
17:52 Uhr
Die ersten Polizeipatrouillen kommen in der Gegend an – müssen aber auf ein geeignetes Boot warten.
18:09 Uhr
Die Anti-Terror-Einheit aus Oslo erreicht das Gebiet gegenüber der Insel Utøya.
18:25 Uhr
Die Polizei erreicht die Insel. Zunächst weiß sie nicht, wie viele Attentäter sich dort befinden. Viele der Jugendlichen bleiben aus Angst zunächst weiter in ihren Verstecken.
18:35 Uhr
Der Täter wird gestellt – laut Polizeiprotokoll ergibt sich der Mann um 18.27 Uhr und wird festgenommen. Die kleinen Boote, die zur Rettung der Jugendlichen losgefahren waren, sind teilweise zu voll, um weitere Menschen aufzunehmen.
19:00 Uhr
Noch immer werden Überlebende aus dem Wasser gerettet. Auf der Insel wagen es einige der Jugendlichen noch immer nicht, aus ihren Verstecken hervorzukommen.
21:30 Uhr
Die Polizei ist auf der Insel, auf der sich mehr als 600 Menschen befinden. Es ist von 20 Toten die Rede. In der Nacht wird klar, dass mehr als 60 Menschen durch den Terroristen erschossen wurden.
Samstag 23. Juli
Die Insel ist bereits evakuiert. DIe Verletzten werden in Krankenhäuser in ganz Norwegen verteilt während die Unverletzten im Sundvolden Hotel untergebracht werden.