Interview mit Janin

Janin und Sarah Marino

Interview zum Anhören

Sarah: Hallo Janin, schön dass du da bist und mit mir sprechen möchtest. Ich freue mich sehr. Vielleicht gleich zu Beginn eine Kurze Vorstellung? Wie alt bist du und wo sind wir hier!

Janin: Ich heiße Janin und bin 25 Jahre alt und wir sind hier in meiner schönen Heimat in Köpenik.

Sarah: Sehr schön! Es ist auf jeden Fall sehr grün hier und sehr, sehr gutes Wetter. Wir sind heute hier, weil wir über das 10 Jahres Gedenken an die Ereignisse in Oslo und auf Utøya sprechen möchten und über deine Erfahrungen und deinen Werdegang. Es ist zehn Jahre her und natürlich gab es auch ein Leben davor. Ich wollte fragen, wo hast du denn vor zehn Jahren gelebt und wie bist du aufgewachsen?

Janin: Geboren bin ich hier in Berlin. Mein Vater ist Norweger und meine Mutter Deutsche und mein Vater hatte so viel Heimweh, dass wir – als ich zwei Jahre alt war – beschlossen haben, zurück nach Norwegen zu ziehen. Das haben wir dann auch durchgezogen. In Norwegen bin ich dann mit einer tollen Familie und tollen Freunden aufgewachsen. Ich bin dort zur Schule gegangen.

Sarah: Du bist dort zur Schule gegangen und bist irgendwann an die Gruppe AUF geraten. Wie ist das passiert? Wie bist du dort hingekommen?

Janin: Das ist durch meine Freundin Elisabeth passiert, die ich seit dem Kindergarten kannte. Ihre Schwester ist mit 16 dort eingetreten. Ne, mit 15. Das war 2009 und Elisabeth hat sich von der Euphorie mit anstecken lassen. Es war nicht die typische Politik, was wir immer dachten, dass man da nur rumsitzt und zuhört. Es hat Spaß gemacht auf diese Versammlungen zu gehen. Man hat auch viele Freunde dadurch kennengelernt die auch die selben Interessen und Ziele haben. Und Elisabeth hat mich damit angesteckt und so sind wir dazu gekommen.

Sarah: Das klingt auf jeden Fall sehr, sehr spannend und richtig erfreulich für mich als Jusos. Ihr wart dann bei der AUF und seit dort aktiv gewesen und habt dann dort von Utøya gehört. Kannst du beschreiben was das ist? Was organisiert die AUF dort?

Janin: Also die AUF organisiert jedes Jahr ein politisches Sommercamp auf Utøya. Es geht dabei nicht nur über Politik. Klar, es gibt natürlich auch viele Workshops und Versammlungen und bekannte Politiker haben Tagesausflüge auf die Insel gemacht. Aber man saß auch einfach nur zusammen, z.B. mit der Gitarre, hatten Discoabende, Filmabende mit Stockbrot und Grillen. Es war kein typisches politisches Camp, es war eher wie ein Freundescamp. Ich kann es nicht richtig beschreiben, aber es war eine schöne Mischung aus Beidem. Es hat sehr viel Spaß gemacht.

Sarah: Du hast deine Freundin Elisabeth schon ein paar Mal erwähnt. Was macht sie denn aus? Was war sie für ein Mensch?

Janin: Sie war ein sehr freundlicher und liebevoller Mensch. Sie hat sich immer für ihre Familie und Freunde eingesetzt. Wenn ich Liebeskummer hatte oder einen anderen Kummer, konnte ich sie um zwei, drei Uhr nachts anrufen und sie ist rangegangen, sie ist zu mir gefahren. Man kann sie gar nicht richtig beschreiben. Sie war ein sehr wundervoller Mensch.

Sarah: Ihr seit auf Utøya, gemeinsam auf das Sommercamp. Bevor alles seinen Lauf nahm, habt ihr dort schon Tage verbracht. Wie lief denn das Camp ab, was habt ihr dort bisher gemacht?

Janin: Die Tage davor waren sehr sonnig und wir sind sehr oft baden gegangen. Es gab eine kleine Badestelle auf der Insel. Dort sind wir sehr oft hingegangen. Abends gab es Filmabende und Discoabende wo man sich dann einfach zusammen in das Kaffeehaus gesetzt hat, in die große Halle. Dort hatten wir auch Karaokeabend, z.B. den Abend davor. Das war richtig, richtig toll. Es war auch spannen, viele Politiker kennenzulernen. Oder auch die Leiter der Bezirke, die es in Norwegen gibt und auch die vielen Menschen zu treffen, mit denen man die selben Interessen teilt. Wir haben gemeinsam die Insel erkundet. Das waren so die Tage davor.

Sarah: Irgendwann kam dann der Zeitpunkt, der 22. Juli. Bevor es auf Utøya losging, gab es bereits Anschläge in Oslo. Wie habt ihr davon erfahren und wie seit ihr damit umgegangen?

Janin: Als ich davon erfahren habe, war ich in meinem Zelt. Mir ging es schon den ganzen Tag nicht so gut. Ich hatte Magenkrämpfe und mir war schlecht. Elisabeth war bei mir und wir saßen im Zelt. Wir haben am Nachmittag draußen vor dem Zelt aufgeregtes Getuschel gehört. Die Menschen waren nicht mehr so glücklich, wie wir es die Tage davor erlebt hatten. Elisabeth ist dann rausgegangen und wollte nachsehen, was da los ist. Sie kam dann ein paar Minuten später wieder rein und meinte zu mir, dass es in Oslo eine Explosion gegeben hat. Mein erster Gedanke war mein Vater. Er hatte eine Baustelle in Oslo und ich habe mir sehr viele sorgen um ihn gemacht. Ich wollte ihn sofort anrufen. Da Elisabeths Vater Lastwagenfahrer war, also er hat Lieferungen in und um Oslo ausgeführt, wollte sie ihn sicherheitshalber anrufen. Es gab im Camp auch viele, deren Eltern im betroffenen Regierungsviertel gearbeitet haben. Diese entspannte Stimmung, die bis dahin geherrscht hat, war weg. Es gab auch viele Leute, die geweint haben, weil sie sich sorgen um ihre Eltern gemacht haben. Ich habe sofort mein Handy genommen und versucht meinen Vater anzurufen. Elisabeth ist in die Cafeteria gegangen, um ihr Handy dort aufzuladen, damit sie auch ihren Vater anrufen kann. Ich habe meinen Vater zum Glück sofort erreicht. Er meinte, er habe die Detonation gespürt, er hat es mitbekommen. Er ist jetzt auf dem Weg nach Hause. Ich war dann entspannter, denn ich wusste, meiner Familie war nichts passiert. Ich bin dann aufgestanden und bin in die Cafeteria zu Elisabeth. Bei ihr war zum Glück auch alles in Ordnung. Sie hat mir dann so einen Daumen Hoch gezeigt. Da war ich sehr erleichtert, dass bei uns alles in Ordnung war.

Sarah: Später am Tag, kurz vor 17 Uhr, erreicht der Attentäter von Oslo mit seinem Lieferwagen die Anlegestelle der Fähre vor der Insel Utøya. Von diesem Zeit an vergehen etwa zwei Stunden bis zum Eintreffen der Polizei und Rettungskräfte. Wie hast du diese zwei Stunden überlebt, bzw. was ist vorgefallen?

Janin: Ich stand immer noch vor der Cafeteria, als ich die ersten Schüsse gehört habe. Ich habe es erst gar nicht als Schüsse wahrgenommen und wusste auch gar nicht, wie sowas klingt. Ich dachte, dass es ein Feuerwerk ist. Dass da irgendjemand mit China Krachern vor sich hin experimentiert. Im ersten Moment war ich sauer, weil ich mir dachte, hier sind Leute, die machen sich sorgen um ihre Eltern und irgendeiner meint jetzt hier Party machen zu wollen. Dann haben Leute draußen geschrien und ich bin in die kleine Halle zurück und wollte nachsehen, wo diese Geräusche herkommen. Dann habe ich auf dem Zeltplatz einen Polizisten gesehen. Für mich sah er aus, wie ein Polizist. Jetzt im Nachhinein weiß ich, dass er keiner war. Ich habe zu dem Zeitpunkt nichts gesehen, das darauf hingedeutet hätte, dass er keiner war. Er hatte ein Gewehr und eine Pistole und hat auf etwas oder jemanden gezielt. Ich weiß es nicht genau. Er hat geschossen. Die Leute sind in das Gebäude reingerannt. Eine Freundin von Elisabeth und mir, Leyla, ist rausgegangen und zu ihm. So wie ich Leyla kenne, hat sie versucht ihn zu stoppen. Sie hatte einen sehr, sehr starken Gerechtigkeitssinn. Gewalt war für sie immer die letzte Lösung. Sie hat ihn angesprochen. Was sie genau gesagt hat, habe ich erst im Nachhinein erfahren. Sie soll wohl gesagt haben: Stopp! Nicht schießen. Er hat ihr dann einfach in den Kopf geschossen. Sie ist umgefallen und ich hab erstmal gar nicht realisiert, was ich gesehen habe und was passiert. Ich bin instinktiv zur Tür gerannt, welche die große von der kleinen Halle trennt. Ich stand dann da erstmal im Schock bis er auch rein gekommen ist. Er hat einfach wahllos auf alle Leute geschossen, die in dieser kleinen Halle waren. Der Boden um mich herum, war komplett rot. Alles voller Blut, auch die Wände waren voller Blut. Ich bin dann in die große Halle gerannt. Elisabeth hat mich nur noch angesehen: Hä? Was passiert hier? Ich hab ihr nur noch zugeschrien: Lauf! Wir müssen hier raus, lauf jetzt einfach. Sie war völlig in Trance. Sie hatte immer noch das Handy in der Hand. Sie hatte immer noch mit ihrem Vater telefoniert und wahrscheinlich noch gar nicht mitbekommen, was da gerade passiert. Sie ist dann plötzlich vom Fenster in eine Ecke gesprungen. Man denkt wenn man sich möglichst klein macht, dann ist man nicht zu sehen. Das war wahrscheinlich ihr Gedanke. Er kam dann in die große Halle rein und hat auf die Menschen in der Ecke geschossen. Ein Mädchen vor mir wurde getroffen. Sie hat sich noch versucht irgendwo fest zu halten, aber ich bin aus Instinkt zurückgewichen, weil ich nicht mitgerissen werden wollte. Irgendjemand hat mich am Handgelenk gepackt und mich durch die Halle gezogen. Menschen sind aus den Fenstern gesprungen und haben Verletzungen in Kauf genommen. Sie wollten nur noch raus. Die Toiletten waren voll mit Menschen, die sich dort versteckt hielten. Ich bin dann durch den Gang und habe noch einmal zurückgeschaut und habe Elisabeth am Boden liegen sehen. Ich dachte dann, ok, sie stellt sich tot. Schlau war sie eigentlich schon immer und ich bin dann einfach nur noch gerannt. Auf dem Zeltplatz habe ich mich umgeschaut. Es lagen auf dem Zeltplatz tote Menschen. Ich bin über Leichen hinweg gestiegen und hab noch überlegt, ob ich ins Zelt zurückrenne um mein Handy zu holen. Aber dann war der Täter auch schon draußen und ich habe den Gedanken verworfen. Ich hatte nur noch diesen Fluchtinstinkt. Ich wollte nur noch weg und bin dann immer weiter gerannt. Ich habe neben mir ständig so ein pfeifen gehört und wusste er schießt gerade auf mich. Ich hab dann immer versucht mich zu ducken, immer zu springen und immer im Zick- Zack zu laufen, damit er nie wusste, wo sich mein Kopf gerade befand. Kurz bevor ich den Wald erreichte, habe ich so eine Art Explosion in meinem Körper gespürt. Ich konnte plötzlich gar nicht mehr Atmen, kaum mehr Atmen. Es viel mir sehr, sehr schwer. Ich habe richtig geröchelt, bin aber weitergelaufen, weil ich so einen Adrenalinpegel hatte. Irgendwann kam ich an einen Pfad. Dort lagen mehrere Menschen. Ich weiß gar nicht, zwölf, dreizehn bestimmt. Ich wollte mich aber nicht zu ihnen legen, weil ich Menschenmassen vermeiden wollte. Ich wusste er schießt auf Menschenmassen und ich sollte jetzt lieber alleine irgendwo hingehen – dann habe ich die größten Chancen zu überleben. Ich bin dann diesen Pfad lang gerannt, aber irgendwann konnte ich einfach nicht mehr. Meine Lunge hat komplett schlapp gemacht. Ich habe mich hingesetzt und habe versucht Luft zu holen. Die ganze Zeit im Hintergrund hat man Schüsse und Schreie gehört. Man hat Menschen gehört, die ihn angebettelt haben, nicht zu schießen und sie leben zu lassen. Ich habe versucht das Ganze auszublenden. Irgendwann kam eine Gruppe an mir vorbeigerannt. Ein Mädchen ist stehen geblieben und hat mich gefragt, ob ich Hilfe brauche. Ich habe ihr dann nur noch gesagt: Lauf! Renn! Lass mich liegen! Renn! Ich wollte nicht, dass irgendeiner sein Leben für mich aufs Spiel setzt. Vor allem auch nicht eine Person, die ich überhaupt nicht kenne. Das wäre in meinem Kopf einfach nur Wahnsinn gewesen, in so einer  Situation. Aber sie hat dann gesagt, nein, ich bleibe jetzt hier. Du bleibst nicht allein liegen. Ich habe ihr auch gesagt, dass ich nicht mehr hoch komme und dass ich nicht mehr laufen können, weil ich anscheinend irgendwo getroffen wurden. Sie hat auch gesagt, ja, du blutest. Dann lagen wir einfach da und haben versucht und etwas abzulenken. Wir haben uns von unseren Familien erzählt. Was wir vor haben, wenn wir wieder nach Hause kommen. Dann waren die Schüsse ganz nah. Wir haben gedacht: Was machen wir jetzt? Ich kann nicht laufen und ich habe sie angebettelt, steh jetzt auf und geh weg. Lass mich hier liegen; ich komme schon irgendwie zurecht. Versteck dich! Sie wollte partout nicht gehen. Wir kamen dann auf die Idee; das einzige was uns einfallen würde, wäre, uns Tot zu stellen. Also haben wir das Blut von meiner Wunde genommen und haben es auf unsere Köpfe geschmiert, unsere Schulter, überall. Wir haben uns dann flach hingelegt, in der Hoffnung, dass es so aussieht, als ob wir tot wären. Wir haben dann die Augen geschlossen. Ich habe versucht, sehr flach zu atmen. Mir viel das überhaupt nicht leicht, weil meine Lunge zu stark verletzt war. Wir haben dann Schritte gehört und mein erster Gedanke war einfach: Jetzt kommt er. Jetzt sterbe ich. Jetzt ist es vorbei. Und ich habe an meine Eltern gedacht. Ich war wütend auf mich selber, dass ich nicht doch noch zurückgegangen bin, um mein Handy doch noch zu holen. So hätte ich mich wenigstens verabschieden können. Jetzt hatte ich die Chance nicht mehr. Irgendwer stand dann über uns und hat sehr ruhig geatmet. Er hat kein Wort gesagt. Er hat einfach nur geatmet. Ich habe Augen nicht aufgemacht. Ich hab ganz kurz mal geblinzelt und hab halt diese schwarzen Stiefel vor mir gesehen. Ich wusste, dass ist er. Dann hat’s zweimal laut geknallt. Er hat zweimal geschossen und ich habe das Mädchen neben mir zucken gespürt. Als wenn so ein Stromschlag einmal durch ihren Körper geht. So stelle ich mir das vor. Sie hat gezuckt und im nächsten Moment war ihr Arm – also unser Hände haben sich so ein bisschen berührt – sie wurde ganz schlaff. Dann gab es noch einen Schuss und ich hatte ein komplettes Fiepen im Kopf. Ich habe richtig unkontrolliert gezuckt. Ich habe damit gerechnet, dass jetzt noch einer kommt und ich tot bin. Ich weiß nicht, ob noch einer kam. Ich habe es nicht mehr gehört, weil ich nur noch so ein rauschen in meinen Ohren hatte. Irgendwann war es komplett still. Ich habe versucht meine Augen auf zu machen. Ich habe total verschwommen gesehen, alles war komplett weiß. Ich habe auf meinem Gesicht überall Blut gespürt. Das erste, was ich dachte: Bin ich jetzt in den Kopf geschossen worden? Warum lebe ich jetzt noch? Leute, denen in den Kopf geschossen wird, sterben. Die überleben normalerweise nicht. Die Schüsse haben weiter weg wieder angefangen. Ich habe versucht mich ein wenig umzudrehen und das Mädchen anzugucken. Sie war tot. Das wusste ich. Das war ein Anblick, der verfolgt einen bis heute. Das kann man nicht vergessen. Ich habe auch schnell wieder weggeguckt. Ich habe noch versucht, ihre Hand ein bisschen zu drücken. Sie war noch warm. Ich habe versucht mich ein bisschen an ihr zu wärmen, weil mir kalt war. Es hat geregnet und es war matschig. Dann hat ein Handy geklingelt. Ich wusste, dass es in der Hosentasche des Mädchens war. Ich wollte auch erst rangehen, aber ich dachte das kann ich nicht sagen. Das kann ich nicht bringen. Ich lag dann einfach nur still da und habe mich einfach gefragt, wo die Hilfe bleibt und wo die Rettungskräfte bleiben. Über uns war ein Hubschrauber und auf dem Wasser habe ich Boote gehört. Die Schreibe und die Schüsse waren immer noch präsent. Diese zwei Stunden haben sich nicht wie zwei Stunden angefühlt. Das hat sich wie zwei Tage angefühlt. Es war unendlich lang. Ich hatte auch gar kein Zeitgefühl mehr. Ich wusste auch gar nicht mehr, wie lange ich dort lag. Ich habe auch einfach nur noch darauf gewartet, dass der Tot endlich eintritt. Ich wollte den Schmerz nicht mehr haben. Diese Geräusche im Hintergrund, ich wollte das alles einfach nicht mehr haben. Ich habe dann gesagt: 15 Jahre, eigentlich hast du schon viel erlebt. Vielleicht soll es einfach so sein. Und ich habe mich dann darauf eingestellt, zu sterben. Irgendwann habe ich ganz viele Schritte gehört. Und ich dachte ok, er hat sich daran erinnert, dass ich noch lebe und kommt zurück und erschießt mich jetzt. Irgendjemand hat mich an meinem Hals angefasst und an meinen Armen. Wahrscheinlich um meinen Puls zu fühlen. Dann habe ich noch gehört, wie jemand geschrieben hat: Hier lebt jemand! Das nächste, woran ich mich erinnere – also ich gehe davon aus, dass ich zwischendurch immer wieder bewusstlos war, ich weiß es nicht, ist, dass ich in einem Boot lag. Jedes mal, wenn man über eine Welle gefahren ist oder eine Welle gegen das Boot geschwappt ist, hatte ich so starke Schmerzen. Über mir saß ein Polizist, mit einer Waffe. Ich habe ihn angeguckt und habe gesagt: Bitte nicht schießen. Nicht schießen. Und er hat gesagt: Ich schieße nicht. Hat die Waffe genommen und hat sie weggelegt. Und da wusste ich dann, ok, die Rettung ist endlich da. Ich habe eine Chance doch zu überleben. Ich habe auch an meine Eltern gedacht und mich gefragt, ob sie denn schon wussten, was passiert war? Ob sie auf dem Weg sind? An Land habe ich dann nur noch ganz viele weinende und schreiende Menschen gehört. Viele haben geschrien, der und der ist Tot und wo ist meine Mama? Es war ganz, ganz furchtbar. Ich wurde dann in einen Krankenwagen gebracht. Dort auch sofort an alle möglichen Geräte angeschlossen. Das letzte, was ich noch weiß, ist, dass eine Ärztin wohl gesagt hat: wir brauchen einen Helikopter, sonst verlieren wir sie. Das nächste woran ich mich erinnern kann ist, dass ich im Krankenhaus wach geworden bin.

Sarah: Das ist richtig krass, was du erlebt hast. Vor allem schon mit 15 Jahren. Das ist auch nochmal besonders traumatisch. Ich stelle mir die Frage, der Täter war als Polizist getarnt und ist so überhaupt erst auf die Insel gekommen. Polizisten bzw. auch generell Rettungskräfte genießen auch ein besonderes Vertrauen in einer Gesellschaft und sind auch die Institutionen und Personen die man auch anruft, wenn man sich bedroht fühlt oder Hilfe braucht. Hat sich denn durch die Tatsache, dass der Täter als Polizist getarnt war dein Sicherheitsgefühl geändert? Bzw. dein Verhältnis zur Polizei.

Janin: Ich hatte gar kein Gefühl mehr der Sicherheit. Ich habe niemanden mehr getraut. Weder Freunden noch Polizei. Sobald ich einen Polizisten gesehen habe, gingen bei mir die Alarmglocken an. Ich wurde panisch. Ich habe gesagt: Bring ihn raus, bring ihn raus. Ich will ihn nicht sehen. Das Problem war halt auch, dass Polizisten auch das Krankenhaus bewacht haben, in dem ich lag. Es lagen ja auch noch viele anderen Überlebenden dort. Die Presse hat sich natürlich, wie sonst was auf die Überlebenden gestürzt um die Besten Schlagzeilen zu bekommen. Deswegen wurde Verstärkung gerufen. Den einzigen Menschen, denen ich danach noch getraut habe, waren meine Eltern. Ich wollte niemanden sehen und wollte niemanden außer ihnen in meiner Nähe haben. Ich habe mich nur noch bei ihnen geschützt gefühlt. Mein Vertrauen war komplett weg. Es hat Jahre gedauert, bis ich mir sagen konnte: es war ein Einzelfall. Er war als Polizist verkleidet und die richtige Polizei hat dich da runter geholt und hat dir geholfen. Es hat Jahre gebraucht, bis ich da wieder Vertrauen gefasst habe.

Sarah: Du hast schon beschrieben, dass du von Rettungskräften geborgen wurdest und in ein Krankenhaus gebracht wurdest. Das war vermutlich nach Oslo, richtig? Wie hast du die Zeit danach erlebt? Wie war denn dein Weg zur Genesung und zurück ins Leben?

Janin: Genau, ich war in Oslo im Krankenhaus. Erstmal hatte ich eine überlebenswichtige Operation, sodass ich alleine wieder atmen konnte. Mir wurden mehrere Kugelfragmente aus dem Körper herausgeholt. Auch am Kopf wurde ein Fragment entfernt. Als erstes musste ich viel liegen. Nach etwa einer Woche durfte ich unter Anleitung eines Arztes wieder anfangen zu laufen. Ich war sehr wackelig und musste das laufen erst wieder neu erlernen. Ich hatte dafür eine Stütze. Ich hatte bereits im Krankenhaus sehr gute psychologische Hilfe und habe versucht das ganze zu verarbeiten und zu verstehen. Ich muss natürlich auch damit klarkommen; ich habe dann auch gefragt, wo Elisabeth ist. Weil, das war mein erster Gedanke als ich wach wurde: wo ist Elisabeth? Ich habe meinen Vater angeguckt und er musste es nichtmal sagen und ich wusste, sie ist tot. Das musste ich erstmal realisieren, dass man eine Person mit der man sein halbes Leben lang zusammen war, dass sie nicht mehr da ist. Das war sehr schwer zu akzeptieren. Ich habe ihr täglich SMS geschrieben und habe durchgehend über sie gesprochen. Meine Verletzungen waren mir egal. Das habe ich mit Hilfe einer Psychologin vor Ort aufarbeiten können. Zum Glück.

Sarah: Du hast bereits beschrieben, dass es dir sehr wichtig war zu erfahren was passiert ist. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, der auch viele Betroffen immer wieder umtreibt: die Aufarbeitung solcher Geschehnisse. Wie hast du denn das wahrgenommen, wie das einerseits öffentlich von der Berichterstattung her, aber auch politisch und gesellschaftlich damit umgegangen wurde. Wie war das aus deiner Sicht?

Janin: Ich habe versucht, ehrlich gesagt, nicht groß Berichte zu sehen und Zeitung zu lesen. Ich habe mir von meinen Eltern alles erklären lassen. Ich wusste jede Zeitung fotografiert ihn, lichtet ihn ab und zeigte den Täter. Ich wollte ihn einfach nicht sehen. Ich wusste dennoch alles, mein Vater hat mir alles erzählt. Ich wollte ihn einfach nicht sehen. Klar, man kam irgendwann nicht mehr drum herum. Irgendwann habe ich einen Bericht über ihn gesehen und habe seinen Gesicht gesehen und dachte mir: Das ist der Mann, der uns das alles angetan hat? Ich finde es jetzt im Nachhinein schade, dass der Fokus eher auf dem Täter liegt. Klar, dass ist immer normal. Aber ich finde man sollte so jemandem keine Beachtung schenken. Beachtung hatte er genug gehabt und irgendwann ist genug. Ich kann es nicht richtig beschreiben, aber ich finde es schade oder doof, dass die komplette Aufmerksamkeit auf ihm lag.

Sarah: Das ist auf jeden Nachvollziehbar und es ist wichtig, dass die Öffentlichkeit selbst reflektiert, wie sie damit umgeht. Du würdest dir also mehr Aufmerksamkeit für euch als Betroffene wünschen? Wie würdest du zehn Jahre danach auswerten? Wie nimmst du das Gedenken in Norwegen wahr? Ist es nach wie vor Täterorientiert oder hat sich daran etwas geändert.

Janin: Dem Täter wird in Norwegen so gut wie keine Aufmerksamkeit geschenkt. Das finde ich gut. Er wird auch nicht beim Namen genannt, sondern nur „der Täter“. Der Fokus liegt sehr auf der Erinnerung der Opfer. Es gibt viele Gedenkstätten. Das finde ich besser. Die Opfer sind die Menschen an die man erinnern sollte und die Überlebenden sind diejenigen denen man helfen sollte. Der Täter hat für mich gar keine Bedeutung mehr.

Sarah: Ich finde es total wichtig, auch von Betroffenen zu erfahren was ein würdiges Gedenken ist. Wie sollte eine Gesellschaft solche schrecklichen Ereignisse aufarbeiten?

Janin: Ich finde, am wichtigsten ist es, den Opfern zu gedenken, den Toten, sie auch namentlich zu erwähnen und ihre Geschichte zu erzählen. Was sie gemacht haben, was ihnen wichtig war und wofür sie in der AUF gekämpft haben. Und ich finde es auch wichtig, dass wir Überlebende mit eingebunden werden. Wir haben halt Sachen erlebt, die kein Mensch erleben sollte, die ich auch persönlich nicht mal meinen schlimmsten Feinden wünschen würde. Und was viele nicht denken ist, ich höre es ja selber immer wieder auch von von Familie. Es ist jetzt schon so lange her. Komm doch mal drüber hinweg. Man muss auch weiterleben und das ist nicht so einfach, weil ich habe Leute sterben sehen. Ich habe meine beste Freundin sterben sehen und das kann man nicht einfach so vergessen. Und das sind Sachen, die sich in das Gehirn eingebrannt haben. Das verstehen viele nicht oder das realisieren viele nicht. Vor allem die, die nicht betroffen waren. Die denken dann, es geht doch irgendwann weiter. Sie wissen aber nicht, was das mit der Psyche macht. Und wie schon erwähnt, ich finde es auch gut, dass in Norwegen der Täter nicht namentlich genannt wird, dass der Fokus dort auf die Überlebenden und die Opfer fällt. Ganz anders als hier zum Beispiel in Deutschland. Da würde eher die Geschichte des Täters auseinandergenommen. Ja, das ist es mir persönlich am wichtigsten beim Gedenken.

Sarah: Es gab ja ziemlich zügig nach den Taten in Norwegen einen Prozess gegen den Täter und ein Urteil. Wie ist denn aus deiner Sicht der Prozess verlaufen und und wie ging es dir vor allem am Tag des Urteilsspruch? Wie hast du den wahrgenommen?

Janin: Also ich finde der Prozess ist so gelaufen, wie wir es uns gewünscht haben. Er wurde als zurechnungsfähig eingestuft und ist dadurch lebenslang hinter Gittern. In Norwegen ist 21 Jahre mit anschließender Sicherheitsverwahrung die Höchststrafe. Wir wissen, dass er nicht mehr rauskommt und das war uns am wichtigsten. Wenn er jetzt als nicht zurechnungsfähig eingestuft wordenwöre, vielleicht wäre er dann nur in eine Psychiatrie gekommen und dann nach ein paar Jahren raus. Wir wissen es nicht, aber ich finde es gut, dass es so gekommen ist und dass er auch nicht so viel Zeit hatte, seine verrückten Ideologien zu verbreiten. Und auch die Reaktionen der Besucher und generell der Presse auch für uns am Tag des Urteilsspruch. Ich war einfach nur noch erleichtert. Also für mich hat es sich so angefühlt, als wäre ein Kapitel abgeschlossen und ich kann jetzt versuchen, mich ganz auf meine Gesundheit zu konzentrieren. Darauf, dass ich wieder komplett zurück ins Leben finde.

Sarah: Der Täter hat ja, wie du schon bereits erwähnt hast, eben nicht aus Irrationalität gehandelt, sondern hatte seine Ziele und verfolgte eine Ideologie. Die wurde nicht mit ihm eingesperrt, sondern ist nach wie vor sehr präsent. Vor allem hier in Deutschland. Gibt es Dinge, die dir nach dem Urteilsspruch noch fehlen? Oder würdest du sagen, da muss noch mehr passieren? Das soetwas nicht mehr passiert?

Janin: Ich finde es muss definitiv noch mehr passieren. Vor allem das potenzielle Gefährder stärker beobachtet werden. Was tun sie? Was könnten sie planen? Ich weiß ja nicht, wie bei der Kriminalpolizei oder den Leuten, die halt auch dafür verantwortlich sind abläuft. Aber das hat mir ein bisschen gefehlt. Oslo hätte definitiv verhindert werden können. Es sind viel zu viele Menschen gestorben, nicht nur in Norwegen, sondern überall auf der ganzen Welt. Da muss einfach schärfer vorgegangen werden.

Sarah: Ja, so etwas Ähnliches hat der damalige Regierungschef Jens Stoltenberg auch gesagt, der eingeräumt hat, dass Fehler passiert sind. Auch in den Behörden im Vorhinein. Wie hast du dann ihn als Politiker wahrgenommen? Auch als Betroffener? Ihm galten ja auch die Anschläge im Regierungsviertel. Wie ist er dann damit umgegangen?

Janin: Ich finde, dass er sehr gut damit umgegangen ist. Es gehört natürlich auch eine ganze Menge Mut und Stärke dazu, vor einem ganzen Land einzuräumen, dass es Fehler gegeben hat. Sich das einzugestehen und das auch zuzugeben. Und ich persönlich habe ihn als sehr engagierten Menschen kennengelernt. Man hat ihm diese Betroffenheit auch angemerkt. Es ist nicht, wie ich sonst immer sehe oder höre, dass die Politiker das einfach nur für die Presse machen. Wenn ich daran denke, ist ein blödes Beispiel. Aber da kommt mir irgendwie in den Sinn, wie Frau Merkel nach den Anschlägen oder nach dem Anschlag am Breitscheidplatz einen Tag später lächelnd mit einem Glühwein dort saß. Das ist der falsche Umgang, finde ich. Er hat es schon richtig gemacht. Er war sehr betroffen. Es war auch ehrlich gemeint.

Sarah: Auch hier in Berlin mehren sich zum zehnten Mal rechtsterroristische Anschläge, vor allem in Neukölln. Und hier klagen Betroffene vor allem über die mangelnde Aufklärung, über das mangelnde Eingeständnis, dass es eben keine Einzelfälle waren. Mich würde interessieren, ob du das auch verfolgst, wie in Berlin damit anders umgegangen wird oder ob du eher keine Verbindungslinien siehst. Es sind ja durchaus sehr ähnliche Ideologien, die die Täter an den verschiedenen Orten haben.

Janin: Ich versuch das nicht so sehr an mich ran zu lassen. Es tut mir nicht gut, wenn ich ständig darüber nachdenke, was woanders passiert ist. Es klingt nicht nett aber es ist auch eine Art Selbstschutz, dass man sich darüber auch nicht wirklich informiert. Man kriegt so viele Sachen mit, die auch sehr groß in den Medien aufgebauscht werden. Aber ich versuche das möglichst nicht an mich heran zu lassen. Ich habe jetzt nur mitbekommen, dass zum Beispiel am Breitscheidplatz viele Angehörige geklagt haben, weil dort mit den Hinterbliebenen nicht so umgegangen wurde, wie sie es sich gewünscht hätten. Mehr versuche ich nicht an mich ran zu lassen.

Sarah: Wie haben sich deine Erfahrungen der letzten zehn Jahre auch auf dein politisches Engagement ausgewirkt? Bist du nach wie vor aktiv beziehungsweise machst du weiter?

Janin: Ich habe mich danach von der Politik erst mal abgewandt, weil ich mit mir selber zu tun und ich Angst hatte. Ich wollte nicht noch mal zum Ziel werden. Und klar, mich interessiert immer noch, was in der Politik los ist. Ich lese auch viel darüber. Ich informiere mich. Ich versuche auch wieder ein bisschen da reinzukommen, auch wenn es mir schwerfällt. Einfach weil die Angst auch nach zehn Jahren immer noch präsent ist. Und ich versuche es jetzt erst mal als Wahlhelfer in meinem Bezirk und hoffe, dass ich dadurch dann wieder ein bisschen mehr einen Schritt in die Politik wagen kann. Ich finde es schon wichtig, was zu verändern und sich dafür zu engagieren. Nur wenn man was macht oder versucht zu machen, kann man auch etwas verändern. Auch was Rassismus angeht.

Sarah: Wir haben vorhin kurz darüber gesprochen, aber ich finde es auch total spannend und vor allem auch für deinen persönlichen Werdegang. Du wurdest mit deinen 15 Jahren völlig aus der Bahn geworfen und das ist auch ein Alter, in dem man anfängt sich zu überlegen: Was mache ich später beruflich, schulisch? Was möchte ich werden? Mich würde interessieren, wie das zu dem Zeitpunkt war und wie sich das verändert hat. Was sind jetzt deine Zukunftspläne?

Janin: Ich hatte direkt danach ja die Klasse nochmal wiederholt. Die zehnte Klasse hatte ich noch mal wiederholt, weil ich einen guten Schulabschluss haben wollte, weil ich unbedingt Polizistin werden wollte. Mit meinem derzeitigen Zustand geht das nicht. Meine Noten sind richtig abgestürzt und ich hatte Panikattacken. Ich dachte mir, ich muss daran arbeiten, bevor ich weiter drüber nachdenke. Mir wurde dann allerdings ein Strich durch die Rechnung gezogen. Den Beruf Polizistin kann ich nicht ausüben aufgrund meiner Verletzungen und meiner Psyche. Da bin ich zu vorbelastet. Ich hatte einen schwierigen Start ins Berufsleben, wollte dann erst Rechtsanwalt und Notar Fachangestellte werden. Da bin ich aber auch ganz schnell wieder raus, weil das auch überhaupt nichts für mich war. Und ja, ich hatte auch starke Probleme mich da rein zu finden. Und dann bin ich durch einen Nebenjob auf den Beruf Einzelhandelskauffrau gestoßen und den fand ich ganz ganz toll. Eigentlich, weil es hat mir Spaß gemacht auch mit Menschen zu arbeiten. Und ich hab halt auch gemerkt, dass ich dadurch ein bisschen meine Sozialphobie bekämpfen kann. Dadurch habe ich mich dann dafür entschieden. Ich habe dann auch 2019 meine Ausbildung glücklicherweise gut abschließen können und bin seitdem als Einzelhandelskauffrau tätig. Man lernt viele Leute kennen. Das macht mir Spaß.

Sarah: Das klingt doch gut, dass du etwas gefunden hast, dass dir Spaß macht und du das auch machen kannst. Liebe Janine, wir sind am Ende. Vielen, vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast.

Interview mit Anna Bruckner

Anna Bruckner, Jugendreferentin im DGB-Bundesvorstand und ehemalige IUSY Vice President, Interview mit Frederic Gerken

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Frederic Gerken: Wir sitzen hier gemeinsam im Park in Neukölln, ich habe dich zum Interview gebeten, weil wir sprechen wollen darüber, wie du den Anschlag in Utøya mitbekommen hast in deiner Funktion als Organisatorin des IUSY World Festival 2011. Meine erste Frage an dich ist: Wo warst du, als du von dem Anschlag erfahren hast?

Anna Bruckner: Genau, ich war natürlich nicht die Organisatorin, sondern so wie alles, dass man irgendwie so im Leben organisiert und miteinander schafft, geht das immer nur im Team, und ich war sozusagen die Projektleitung von dem Organisationsteam des IUSY World Festival auf dieser organisatorischen Ebene. Und wir waren am Attersee in Österreich am Europacamp. Das ist das Camp der Sozialistischen Jugend dort. Und wie das immer so dort ist, hat es natürlich in Strömen geregnet. Darauf kann man sich wirklich immer verlassen. Und das war schon beim Aufbau so, also auch während des Festivals. Und wir waren gerade mitten im Aufbau. Wir waren ganz viele Leute aus der Sozialistischen Jugend und das Büro und ganz ganz ganz viele Ehrenamtliche. Und wir waren eigentlich, also bereit ist jetzt übertrieben, weil wir hatten natürlich noch ne Menge zu tun, aber wir waren bereit dafür, dass die dreitausend Gäste aus der ganzen Welt zu uns kommen. Und wir miteinander eine Woche über Sozialismus diskutieren, und den Sozialismus feiern. Und dann kam diese Nachricht, und wir haben zuerst noch gar nicht über das Attentat auf der Insel gehört und wie das dann halt so ist, wenn politische Leute zusammenhängen, man verfolgt ja die Nachrichten, und dann war zuerst das Attentat in der Innenstadt, und das haben wir so vernommen sozusagen, „ah okay, war scheiße“, aber wusste ja irgendwie noch gar nichts. Und man hat das irgendwie mal zur Kenntnis genommen, dass da irgendwie was Doofes passiert ist. Und dann kam die Nachricht, dass auf der Insel, wo unsere Genoss*innen und Genossen sind, ein Attentat ist. Und, genau, wir waren da gerade am Camp, und das war, ehrlich gesagt, erstmal komplett surreal. Die einzige Person, die es wirklich, ein bissel realisiert hat, war meine Genossin Sandra Breiteneder, weil die damals die internationale Arbeit gemacht hat und deswegen sehr viele Leute kannte, die auf der Insel gerade waren, auf Utoya waren.

FG: Und was war dann eure erste Reaktion, also habt ihr mit dem Aufbau aufgehört, und euch erstmal zusammengesetzt und darüber gesprochen, wie ihr jetzt weiter verfahrt? Wie war das?

„Uns war ganz schnell sehr klar, dass wir das Festival nicht absagen würden“

Anna Bruckner

AB: Also es war so, dass es unterschied gab im Team zwischen jenen, die gerade wirklich realisieren, was passiert, und jenen, die das gerade überhaupt nicht einordnen können. Die Tragweite war in dem Moment eigentlich überhaupt nicht klar, sondern es ist ja immer so Schritt-für-Schritt, peu à peu rausgekommen, was da eigentlich gerade wirklich passiert. Und dass das auch eben eine politisch motivierte Tat von rechts ist. Ich glaube, wir haben es realisiert, als wir als Orgateam plötzlich in die Realität gerissen wurden, weil wir plötzlich mit dem Innenministerium sprechen mussten, weil wir plötzlich den Bundeskanzler am Telefon hatten, und die Parteivorsitzende der SPÖ, die uns gefragt hat, ob wir das denn jetzt überhaupt machen könnten, dieses Festival umzusetzen. Also es war eine Situation, wo klar war, einerseits werden auf organisatorischer Ebene gerade Bombenspürhunde angemeldet, die jetzt über das Camp gehen würden, und gucken würden, ob da für uns eine Bedrohungslage da ist, und auf der anderen Seite eben die politische Fragestellung: Was ist das richtige zu tun? Ist es das richtige, abzusagen? Oder ist es das richtige, nicht abzusagen? Und für beides gibt es ja ganz viele Argumente und gab es ganz viele Argumente. Und es war, ehrlich gesagt, ganz schnell sehr klar, dass wir nicht absagen würden.

FG: Kannst du noch einmal grundsätzlich etwas zum Festival sagen, ob das regelmäßig stattfindet, was so die Zielgruppe ist, wer da so kommt?

AB: Also das IUSY Festival ist das internationale Festival der sozialistischen und sozialdemokratischen Jugendorganisationen, und das findet in regelmäßigen Abständen an verschiedenen Orten in der Welt statt. In so einem Turnus mit dem europäischen Festival. Und das ist das IUSY World Festival, das in einer ganz langen Tradition steht. Und die Zielgruppe sind junge Leute, die aktiv sind in sozialdemokratischen/sozialistischen Jugendorganisationen auf der ganzen Welt. Und die kommen von allen Kontinenten herbeigetingelt. Wir verbringen eine Woche miteinander, um miteinander zu diskutieren, Workshops und Panels zu besuchen, aber auch um Spaß zu haben, zu tanzen, zu knutschen, sich zu verlieben.

FG: Du sagtest eben, dass ihr euch sehr schnell dafür entschieden habt, das Festival trotzdem stattfinden zu lassen. Und es waren ja auch Überlebende vom Anschlag als Gäste angemeldet. Wie seid ihr damit umgegangen?

„Es war eigentlich ein Geschenk, dass das Festival so kurz danach stattgefunden hat. Dass es die Möglichkeit gab, zusammenzukommen, und einerseits einander zu trösten, aber auch einfach einander in die Augen zu gucken, und sich zu vergewissern, dass das, wofür du jeden Tag streitest, dass du das nicht loslässt“

Anna Bruckner

AB: Genau, wir haben ganz schnell entschieden, dass es stattfinden soll. Die Idee dahinter war erstmal, dass wir gerade in der Situation sind, von einem kollektiven Schock für die ganze Bewegung. Und in dem Moment von kollektiver Trauer. Und Menschen gehen unterschiedlich um mit so Situationen, wo man irgendwie ohnmächtig ist. Und uns war klar, eigentlich kann uns nichts besseres passieren, als so kurz nach einem Attentat auf nicht nur unsere Genoss*innen, sondern auch auf alles, wofür wir stehen, dass wir die Möglichkeit hatten, zusammenzukommen. So doof es klingt, das war eigentlich ein Geschenk, dass das Festival so kurz danach stattgefunden hat. Dass es die Möglichkeit gab, zusammenzukommen, und einerseits einander zu trösten, aber auch einfach einander in die Augen zu gucken, und sich zu vergewissern, dass das wofür du jeden Tag streitest, dass du das nicht loslässt. Wie sind wir denn damit umgegangen, dass da auch Leute angemeldet waren, die da auf der Insel waren? Also ganz praktisch hat das erstmal bedeutet, dass auf der einen Seite sich die Teilnehmer*innenzahl um die Hälfte reduziert hat. Oder nicht ganz die Hälfte. Weil ja nach so einem Attentat nicht alle in der Delegationsstärke gekommen sind, aber die Verbandelung zwischen den skandinavischen Ländern einfach sehr eng ist, und daher ganz viele Menschen ihre Freundinnen und Freunde verloren haben. Und auf der anderen Seite hat es ganz praktisch bedeutet, dass der erste Abend, eigentlich ist das die fette Party, der Abend, wo du dich politisch einschweißt miteinander und erstmal Bierchen trinkst und tanzt, nicht so stattgefunden hat. Wir haben dann entschieden, dass dieser erste Abend zu einer Gedenkveranstaltung werden soll. Und der Ministerpräsident aus Norwegen Jens Stoltenberg kam höchstpersönlich. Sigmar Gabriel kam. Und Werner Faymann, der damalige Bundeskanzler aus Österreich kam. Und am Attersee hat eigentlich die erste zentrale Gedenkveranstaltung stattgefunden, abseits von jener in Oslo.

FG: Es sind dann ja auch Überlebende von der Insel direkt zu euch aufs Festival gekommen. Wie seid ihr damit umgegangen?

AB: Also, wenn ich ehrlich sein darf, wir als Team sind gar nicht so viel damit umgegangen, sondern, was wir erstmal gemacht haben, war, irgendwie einen physischen Ort zu installieren, also ein Zelt, das sozusagen dann der Ort sein sollte, wo man den Austausch, den Rückzug, aber auch das Gespräch finden kann. Sowohl sozusagen als Person, die gerade betroffen ist, im Schock ist, aber natürlich auch aus der Idee heraus, dass es nochmal so einen Ort geben muss, wo Menschen aufgefangen werden, die jetzt gerade auch tatsächlich kommen. Und ich muss auch ehrlich sagen, ich weiß gar nicht, wie freiwillig alle Leute kamen, die als Überlebende gekommen sind, weil ich kann mich an einen Genossen erinnern, der, aus einem afrikanischen Land ist, und der beispielsweise da war als Überlebender, und wenn wir uns angucken, wie die Grenzpolitik funktioniert und die Visaregelungen für afrikanische Genoss*innen, dann sind die nicht einmal in einer Situation wie dieser eigentlich frei, ihre Reiserouten einfach so zu verändern. Also der Genosse hätte früher oder später irgendwie in Österreich landen müssen, weil das ist das, was er bei der Botschaft angegeben hat. So hat er das auf jeden Fall damals erzählt, ich kann das jetzt nicht verifizieren, dass das so ist, aber ich kann mir das schon sehr gut vorstellen. Also wie sind wir damit umgegangen, dass da Überlebende da waren? Ich kann es nicht wirklich beantworten, weil für die Überlebenden selbst war ja das persönliche Aufgefangenwerden sozusagen das Relevante. Und die Möglichkeit, Orte der Ruhe irgendwie zu haben, und das war mein organisatorischer Beitrag. Und eine Sache fällt mir gerade noch ein, und zwar war es ja so, dass Breivik eine Polizeiuniform anhatte. Und das war ein Riesendisput, den wir hatten mit dem Innenministerium. Das Innenministerium kam halt und ist überall mit den Bombenhunden herumgelaufen und wollte das Festival zu einem Sicherheitstrakt machen –während wir gleichzeitig einen Freiraum schaffen wollten, aber gleichzeitig jauch einen Ort schaffen wollten, wo auf keinen Fall Polizisten rumlaufen. Wenn gerade da traumatisierte Menschen rumlaufen, die gerade von einem Polizisten – also von einem verkleideten Polizisten – angeschossen wurden. Und das war auf jeden Fall etwas, um das wir uns sehr stark kümmern mussten, dass wir Absprachen treffen mit der Polizei, dass sie nicht in ihren vollen Montur ankommen. Die waren da wirklich extrem kooperativ, und sind in Jeans rumgelaufen, und haben auch vor Ort sehr wenig Präsenz gezeigt, sondern haben das mit den Hunden gemacht, aber nicht einen Ausnahmezustand hergestellt. Das haben sie nicht gemacht, und das war sehr gut, dass sie das nicht so gemacht haben.

FG: Du hast vorhin schon angedeutet, dass auch der Bundeskanzler anwesend war bei der Gedenkfeier oder auch aus Deutschland Sigmar Gabriel, also das Interesse der Politik war relativ groß, das Innenministerium hat sich sehr kooperativ gezeigt – wie war denn allgemein auch das öffentliche Interesse am Festival? Waren Medien anwesend?

AB: Es war dann natürlich riesig. Die haben uns die Bude eingelaufen, das muss man auch so sagen, und das war natürlich auch pietätlos. Wir wissen alle, wie der Boulevard funktioniert, und nicht nur der Boulevard, die kamen dann natürlich an wie die Hyänen, und wollten die Überlebenden von der Insel finden und mit denen irgendwie eine Titelseite machen. Also auch das war was, dass uns sehr viel Energie gekostet hat. Den Begriff Safe Space Festival mit Leben zu füllen, weil wir die Leute auch schützen wollten vor dieser Pressearbeit. Und ich glaube, viele Leute haben das noch sehr präsent, weil wir waren ja damals zum Glück noch nicht so geübt drin, also in Deutschland und Österreich. Es gibt Länder mit anderen Traditionen, wir waren nicht sehr geübt darin, uns Gedanken zu machen, mit den richtigen Antworten und der richtigen Sprache, was passiert wenn so Terrorattentate passieren. Und Jens Stoltenberg hat ja damals diesen total berühmten Satz gesagt, dass die Antwort auf Gewalt immer nur mehr Demokratie und Menschlichkeit sein kann. Und mit diesem Satz kam er auch nach Österreich. Aber er hat damals ja nicht nur das gesagt hat, sondern, auch noch diesen Nachsatz gemacht – „und auf keinen Fall ist es Naivität“. Und das ist verbunden mit einem Handlungsauftrag, gerade an die politische Linke. Ein Rechtsterrorist läuft rein in eine Menge junger Menschen, und erschießt sie, weil sie Frauen sind, weil sie Linke sind, weil sie sich stark machen für eine vielfältige Gesellschaft. Und sich das anzugucken und es erstzunehmen. Den Rechtsruck ernst zu nehmen und ernstzunehmen, dass der Attentäter Beate Zschäpe Briefe schreibt. Der Handlungsauftrag von Jens Stoltenberg bedeutet im Angesicht solch einer Bedrohung nicht in Ohnmacht zu verfallen sondern ein lautes „Nein!“. Die Organisierung nicht nur gegen den Rechtsruck, sondern für eine Welt der Freien und Gleichen, das hat Stoltenberg einfach so mit einem Satz geschafft. Direkt nach dem Attentat. Das imponiert mir bis heute. Ich glaub auch deshalb war das nochmal in einem besonderen Maße von medialem Interesse damals, weil ihm das gelungen ist, wie es nur wenigen Menschen davor und danach gelungen.

FG: Für den Kontext nochmal: Anders Breivik hatte Kontakt mit Zschäpe, Beate Zschäpe, sie hatten einen Briefwechsel. Zur Gedenkfeier, die ihr organisiert habt: Vielleicht kannst du dazu nochmal ein paar Sätze sagen, wie die aussah, was euch da wichtig war, worauf ihr da den Fokus legen wolltet?

AB: Die Gedenkfeier war so organisiert, dass in dem Hauptplatz des Campinggeländes eine Bühne stand, eine ganz kleine Bühne mit einem kleinen Dach, und es war alles total unaufgeregt vom Setting her. Und wir haben mit der Unterstützung von der Bundespartei der SPÖ in sehr kurzer Zeit ein kleines Transparent drucken können und Kerzen organisieren können, also so kleine Lichter, die man in der Hand halten kann. Dann haben wir einfach massig Kerzen organisiert und unseren tollen Genossen Gigs, der mit uns normalerweise am Lagerfeuer sitzt und Arbeiter*innenlieder singt, hat auf dieser Bühne gesungen, und wir haben gemeinsam gesungen, und wir haben gemeinsam diese Kerzen gehalten. Es hat auch zu regnen begonnen, und es gab Redebeiträge von den drei benannten Gästen, Stoltenberg, Gabriel, Faymann. An weitere kann ich mich jetzt ehrlich gesagt gar nicht erinnern, höchstwahrscheinlich der Vorsitzende der Sozialistischen Jugend, damals Wolfgang Moitzi. wahrscheinlich der Generalsekretär von IUSY damals, Johan Hassel. Ich kann mich, gar nicht mehr so genau erinnern, weil ich hab von der Feier ganz wenig mitbekommen, weil ich damit beschäftigt war, die Kerzen zu verteilen und die Leute vom Eingang abzuholen, dort hinzubringen.

FG: Wann genau hatte die Gedenkfeier denn stattgefunden?

AB: Das müsste ich nochmal nachgucken. Das ist alles so blowy. Am 22. war das Attentat. Also es war am ersten Tag des Festivals. Es war nicht am nächsten Tag. Ich glaube es war am über-übernächsten Tag. Also drei Tage später.

FG: Nach dem Ende des Festivals und als sich das etwas gelegt hatte, ist der Anschlag dann noch präsent? Hat der Anschlag eure Arbeit geprägt, also deine politische Arbeit geprägt, bei der SJÖ oder auch bei IUSY?

AB: Also meine persönliche Arbeit hat das extrem geprägt, weil ich eigentlich vorher so das Thema der extremen Rechten gar nicht so krass am Schirm hatte. Und ich war, genauso wie viele andere, von denen ich das weiß, eigentlich noch ganz schön lang, ja, ich kenne mich nicht so aus, mit so Begriffen, aber ich glaube, es war einfach ein Trauma. Und viele von uns konnten sich sehr lange nicht damit auseinandersetzen, was da passiert ist, warum es passiert ist, wer das war, und warum er das gemacht hat. Viele konnten sich nur sehr oberflächlich mit diesen Fragen auseinandersetzen.

„Die Genoss*innen der AUF sind mit der Botschaft ‚Uns kriegt man nicht klein‘ nach außen gegangen“

Anna Bruckner

Wir haben immer so nach Norwegen geguckt, zur AUF, und waren immer total: „Wie machen die das?“. Weil eine Sache, die damals sehr imposant war, war, dass die Genoss*innen, oder einige von denen, extrem stark nach außen gegangen sind, mit der Botschaft: „Uns kriegt man nicht klein“, und „Wir arbeiten weiter“, und viele Interviews gegeben haben. In meinem Umfeld war das gar nicht so, und viele haben viele Jahre gebraucht, bis sie da wirklich mitgearbeitet haben. Und ich glaube Breivik ist mit dem Blick auf die Militarisierung und die Radikalisierung der extremen Rechten ein Schnitt, der in einer Kontinuität steht, aber der sich in der Kontinuität auch weiterentwickelt hat. Und wenn wir uns den NSU beispielsweise angucken, dann hat sich hundertprozentig der Blick sehr stark geschärft für den ganzen Mist, der rund um Einzeltäterthesen immer wieder aufs Neue von politisch Verantwortlichen, vom Staat auf diese sich immer radikalisierendere radikale Rechte gelenkt wird. Für IUSY oder für die europäische und internationale sozialistische und sozialdemokratische Jugend hat sich kurzfristig in meinem persönlichen Blick einiges verändert. Man wusste nochmal stärker, dass Politik kein Kindergarten ist, und dass es nicht nur um harte Debatten gehen muss sondern dass tatsächlich, beispielsweise im Fall von Breivik der Hass auf Frauen so groß sein kann, dass er deswegen auch Frauen ermorden will. Und dass diese Arbeit nochmal viel wichtiger ist als man im Alltag, mit diesem Tagesgeschäft, mit so von Sitzung zu Sitzung und von Seminar zu Seminar gewusst hat. Aber ich muss gleichzeitig sagen, dass es mich manchmal auch überrascht hat, wie wenig es verändert hat. Ich kann mich sehr gut erinnern, ich habe da mit einem Genossen mal sehr lange drüber gesprochen, als er so meinte: „Vor zwei Jahren war ein Putsch in meinem Land. Ich hab mich versteckt in einem Wald“. Er hat sich versteckt, weil ein Putsch war und die Leute fliehen mussten. Ich glaube, die Lebensrealitäten von manchen Genossinnen und Genossen von uns, die sind unvorstellbar krass, dass, dieses Attentat von Breivik natürlich ultra schlimm für sie war, aber deren Alltag so krass ist, dass es nicht die Zäsur ist. Weil die Verfolgung für deine politische Arbeit für sie in eine ganz anderen Art und Weise Realität ist, als es jetzt für mich ist.

FG: Ich wäre jetzt auch am Ende des Interviews mit meinen Fragen. Ich weiß nicht, ob du noch etwas ergänzen möchtest?

AB: Eine Sache würde ich gerne ergänzen: Ich kann mich erinnern an das IUSY Festival in Malta. Ich glaube, das muss 2014 gewesen sein, also das IUSY Festival nach dem am Attersee. Ich war dort im Organisationsteam, aber nur für die politische Arbeit, weil ich damals bei IUSY Vice President für die Sozialistische Jugend in Österreich war. Und ich kann mich an den ersten Abend erinnern. Ich habe auf den Dance Floor geguckt, und die Leute haben gelacht und getanzt, und ein paar haben auch geknutscht. Ich habe dort eine Riesengruppe an Frauen, an Genossinnen von der AUF gesehen, und sie waren die, die am lautesten gelacht haben, und am verrücktesten getanzt haben. Ich habe sie angeguckt, und ich habe geheult. Diese lachende Frau, die steht für alles, was Breivik hasst. Er hasst starke, mutige, politische, linke Frauen, die emanzipiert sind, die selbständig sind. Er hasst sie, und deswegen hat er sie auch umgebracht, mitunter. Sie standen da, und sie waren alles, was er gehasst hat. Und ich fand es einfach so wunderschön, ich werde es nie vergessen wie die Genossinnen da vor Ort damit umgegangen sind und weitergemacht haben, und diesen Handlungsauftrag so unfassbar für sich mitgenommen haben. Es geht nicht um einen Moment der Trauer geht jedes Jahr, sondern um einen Moment der Trauer und danach wieder viel lauter zu sein. Das finde ich toll. Ich glaube, da kann man viel von lernen.

FG: Ich danke dir für dein Interview, Anna.

Abkürzungen  

ASH: Anton-Schmaus-Haus Einrichtung der SJD – Die Falken Neukölln

AUF: Arbeidernes Ungdomsfylkning – Arbeiter:innen-Jugendliga, norwegischer sozialistischer

Jugendverband   

BK: Bundeskriminalamt (Österreich)

DGB: Deutscher Gewerkschaftsbund  

IUSY: International Union of Socialist Youth – internationaler Dachverband sozialistischer und

sozialdemokratischer (Partei-)Jugendverbände

Jusos: Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in

der SPD  

NSU: Nationalsozialistischer Untergrund

PoC: People of Color

SJD – Die Falken: Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken

SJÖ: Sozialistische Jugend Österreich

SPÖ: Sozialdemokratische Partei Österreichs

YES: Young European Socialists – europäischer Dachverband sozialistischer und sozialdemokratischer (Partei-) Jugendverbände

Interview mit Julia Eikeland

Julia Eikeland, AUF Norwegen mit Liz und Marius von SJD – Die Falken

Anmerkung der Redaktion: Die Verschriftlichung des Interviews ist eine Lesefassung in der Wortwiederholungen und Füllwörter zum Teil entfernt worden sind. Inhaltlich wurde das Interview nicht verändert. 

Interview zum Anhören

Liz: We’re going to talk about the 22nd of July 2011, and we’re going to start with some questions concerning your personal experience. And you were eight years old in 2011, right?

Julia: In 2011, I was 11.

Liz: 11 Yes, already. OK, so would you mind telling us a little bit about what you were doing on the 22nd of July in 2011 and what you experienced that day?

Julia: Yes. So I was actually 11 since it was July. It was summer vacation in Norway, so I was on my summer vacation in Germany actually, and I remember my mom told me we were just chilling in our apartment and it was a hot and sunny day. And she told me that a bomb had gone off  in Oslo. And I  remember that I was really shocked and it went all over the media and you could see a lot of things. And I read a lot about things that were happening, but I didn’t quite understand what was going on. And I was very young. I was only 11 years old, so I didn’t really understand what was going on. So at the time, I didn’t understand that it was a political attack. I just thought it was a completely random shooting and like, maybe war or just some crazy person just shooting everywhere. So at first when I got home, I began to understand more, and people also told me more about what’s really what’s going on. But it was really strange when I came home from the vacation to just see how Norway has changed in only a few weeks and how different everything was. And Stavanger, the town where I come from, everyone was really down and everyone was very upset and things were very different. And of course, when you’re only 11 years old, it’s really hard to understand what’s really going on.

Liz: And when you came back to school after summer, how was it discussed there? The attacks?

Julia: It was discussed a bit because everyone knew that something big had happened and we didn’t know that we had to speak about it. So I learned a little bit about what was going on, but not that much as I remember. As I said, I was very young in 2011, so it’s not everything that I quite remember, but I can remember that I didn’t learn so much about it. Fortunately, later in the years, it’s been more incorporated in the school and more, and it’s been a more important theme in the school. And many kids today learn about the attack and the thoughts behind it. But when I got to school, we spoke a bit about things like, Oh, it was a shooting in Oslo and on Utøya, but we didn’t really speak so much about what was the impact of the attack. Was it like an attack on social democracy? Was it an attack on Norway? We just learned that it wasn’t just like a shooting, but we learned more in the later years. I really understand now what really was going on.


Liz: And later you joined the AUF. When and why did you join the AUF?

Julia: Yes. So I started in AUF when I was around 15 years old, so I believe it was in 2015, 2016 at that time. So that was like four or five years after 2011 and the terror attack. So I started to get involved in my local team here in my town where I come from, Stavanger. And so I started actually because I had one thing that I really, really hated and that was private schools. And I really didn’t like them. So I found AUF and I thought, Oh, that would be a great place where I can discuss politics. And also at the time, I was really a big fan of the prime minister at that time, which was from the Labor Party, Jens Stoltenberg. And I thought he was really nice and cool and did a great job for Norway. So that combined my hate for private schools and my fan obsession with him made me want to join the AUF. And now I have been active for around five to six years and with each day  passing by I have really even become more engaged actually, and I have become more motivated to continue because there is a good unity and a lot of learning and you really get a lot of friends. So I found AUF as a really, really good place to learn about politics, but also meet new people and to get to do a lot of cool stuff.

Marius: Did you consider the terror attacks when you joined the AUF. So it had an impact for you joining the AUF?

Julia: At the time I didn’t really think about it because I know a lot of people that got in the AUF in  2012 and  2013. They got in because of the terror attack, and they did understand the importance of democracy and youth politics. But it was like four or five years after I really got engaged. So I really didn’t think that much about it until I started. It was when  I started in AUF I really understood what AUF had been going through the last years and really how unique that organization is. And it really got me more interested in right-wing terrorism. And 22nd of July has been a really big theme in AUF. So we talk very much about it. So. It’s really an open theme, so when I started, I knew most of the basic stuff and I’ve seen a lot of videos and a lot of things that people have done. When I started in the organization, I really really understand why do we have to take the fight against right-wing terrorism and why it is it is supporting to fight against it and what can we do in the AUF. So I believe that my engagement in AUF made me more and more engaged in the fight against right-wing terrorism. And also when I visited Utøya for the first time and all the other times, it really got me to see the importance and what a big impact AUF can make in in the fight against right-wing terrorism.

Marius: Yeah, I’d like to go a bit more in this topic and ask the question how the people in the AUF are dealing with the experience of the terror attack. Maybe at first on an individual level?

Julia: Yeah. I can start by saying that it is very, very different from each person that was there the  22nd of July. Each people or each individual has their own history and experience. And I didn’t experience it myself fortunately and so I can only describe how it must have been for them. Some of them wanted to continue in AUF and wanted to continue to be in political engagement. Some people could make it, but others thought it was so difficult and so hard that they wanted to step away from politics. They didn’t want to be on Utøya or get involved in politics again because they were so traumatized and everything was so hard, which is very, very understandable. And of course, the happening had a very big impact on AUF in the years after the terror attack. I like everything I have been told. It was very hard because the organization couldn’t be as normal. They couldn’t discuss normal political things. They were using all their time on building up their organization because it was very difficult to run an organization that was completely destroyed in many ways. Because you have lost a lot of members, you lost a lot of the leaders in the counties and stuff like that, and many had a lot of trauma and they were very traumatized. But AUF got up again, and they used so much time to build up AUF to take Utøya back. And many of the members continued to get involved and they didn’t want to let the heat when they did want to win themself. So I’m very proud of what AUF did, and I’m really, really honored to be a part of an organization that has built themselves so well up after everything that’s happened, that’s it.

Marius: Yeah, I also think that it’s very strong that you were hit in the heart and you managed to get out of it. Can you tell us how does the organization on a higher organizational level deal with this experience? Do you have a collective commemoration to mention for example you visit from time to time or very often visit Utøya? Can you tell us something about that?

Julia: Yes. As I mentioned earlier, we work a lot with the  22nd of July in our organization. Now in AUF we have our own like 22nd of July selection of people in our organization that is working with the topics. But we also visit Utøya a lot of times because we use it for our summer camps and basic things like seminars. But we also use Utøya for special events, for example every year we have something called the Utøya conference. And in that conference, it is a weekend where we only learn about right-wing terrorism and we speak about 22 of July and the impact it had on Norway and and our organization. So we really do speak a lot about it, and I feel like it is very easy in AUF to speak about 22nd of July because for us, it is very, very important that it’s not only the people who were there, it’s not only their history, but it’s also our organization because everyone who is a part of a AUF, they’re a part of the history of 22nd of July. And that’s the main reason why we also want everyone to feel that they can learn a lot about it and that they feel like they belong to the history and to the island and to everything that happened. So for a short conclusion, yes, we speak a lot about it. We learn about it and our counties and our local local groups are working a lot with it. So not only in our yearly meetings, when we are in our summer camps, it’s always something that is relatae to the 22nd of July and right-wing terrorism as a theme so we are always reminded. We definitely can speak about it and we have a few people now in our organization that were on Utøya on 22nd of July. But most, like 95 percent of our active members, didn’ t were there. So that means that AUF has an even bigger job to continue to tell the story and to make everyone take the fight because it is very bad if we end up having members who don’t know about the date and if it feels scary to talk about something like that. So it’s very important for us.

Liz: Do you know how the count of members in AUF has changed since then?

Julia: Do you mean like the amounts? Yeah. So after 2011 we got a lot of new members but not only in AUF. After 2011, a lot of people in Norway wanted to get involved in youth politics, like more in the socialists, more in the labor, more like in every party. People who were engaged got up. And of course, in AUF, we got a lot of new members because everyone understood the impact that the youth organizations had on society and people really felt the importance of engaging themselves in politics. But it has been a few years now and people are maybe starting to forget a bit more. And we can see that the people who want to get into youth politics are going down. So that’s very sad. Because you had so many people in 2011 that were like, “Oh, I’m going to get in and join the democracy”. But now it really has faded off. So I hope that we can make people want to join again and get people to understand. Of course, we have a lot of members in AUF and still a lot of people who want to join. But I really want even more youth to be a part of democracy and to understand that we can not take democracy for granted. It’s not everyone who wants democracy to be, so we need to stand up for it.

Liz: Would you tell us something about the measures that  AUF has taken after the attacks concerning security or maybe concerning the need for safety that people might have had? Like what you’re doing right now Yeah, to protect the AUF against something happening, something like this happening again.

Julia: That’s a good question. In our summer camps, for example, we always have the police on the island and we really are protected. We can say that the protection around that date (22nd of July)  wasn’t good enough and we didn’t have a lot of people to protect. A very, very important topic for AUF is that the police and everything wasn’t good enough on that date. But some of the most important things we can do is not only to get better security but  to fight against very scary attitudes and thoughts that is located in our society because that is more scary because of course we can always get better securities. But really, it shouldn’t be necessary for an organization to have a lot of police and a lot of things because you’re scared that someone is going to kill you or someone is going to do something. The most important we can do is to take away really those thoughts that are living in our society and to educate people and to make them aware. So, yeah, that’s really important. But of course, we really take security as a very big topic for us and we really want to feel that everyone that is joining AUF should not be scared and should not feel like they can’t come to Utøya or to anything. It’s safe to join the AUF and that’s something that we think it’s very important.

Marius: And I guess Utøya didn’t just have an impact on AUF, but also, like you’re very connected to the Labor Party. Can you tell us something about what impact the terror attacks had on the politics of the Labour Party?

Julia: Of course, there has been a big impact on both AUF and the Labour Party because it was not only on Utøya, but it was also in the government’s quarter in Oslo, where a lot of people from the Labour Party worked. And also AUF is their youth organization. So there were a lot of the upcoming politicians in AUF who were going in the Labour Party and many people in the Labor Party knew many people in AUF who were there and were killed.  We’re all in the same party. So of course, it had a big, big, big impact on the Labour Party. And it was really hard for the Labour Party because at that time the Labour Party was ruling Norway and there was so much that they needed to do. It was election that year. And you know, you need to continue to rule a country, even though big things like that happened. So I believe it was very, very hard to rule the country and to do everything that needs to be done on a day to day basis and still to work and to kind of understand everything that just happened and not be traumatized. Yeah. So I think it was very, very hard for the Labour Party as well. And something that happened a lot with the Labour Party is when they try to speak about something, for example, immigrants and speaking about right-wing terrorism and stuff like that. Some people often are commenting that we are using that 22nd of July card. You can say that you can’t mention 22nd of July when you’re talking about politics and stuff like that. And for the Labour Party, it’s very, very hard because often when they say oh, like, the representative from this party can say it but from the Labour party know what can happen if we have those thoughts. They often mention, ‘Oh, you can’t say that  just because you had the 22nd of July’. And that’s really, really bad, because the 22nd of July really, really showed what hate can do, and we need to speak about it more, not less. But when the Labour Party mentioned it only like in that time, but now as well, they really did meet a lot of hate and a lot of mean comments. So it has been very, very hard.

Marius: And could you tell us something about the overall political climate, do the other parties realize the political background of this terror attack, that it was a right-wing terror attack? Or do they talk about it as an individual act of an insane person?

Julia: I can say that right after the terror attack, every party in Norway was really surrounded together and was like, ‘Today we’re all from AUF, today we stay together and we really understand what happened and we are all together’. But as the years went by, things really have changed a bit and we have some parties that are really understanding and it is very clear that this was a terror attack on the Labour Party, but some people and some parties have been really bad as well. They don’t mention 22nd of July as much as we would like to as a topic. They don’t want to say that it was an attack on the Labour Party. Some think it was of course an attack on our democracy. But it was also an attack on our organization and our party. And that’s something that I want everyone to understand because it’s been a very hard time for the Labour Party to get people to understand. And we can also tell that politicians from other parties are saying that the Labour Party is using the 22nd of July card all the time. They don’t understand really the big impact of the date. But now it is the 10th anniversary this year, so you can tell that’s 22nd of July is a much more discussed topic, and it’s very, very great to see that a lot of the parties are beginning to understand more and are beginning to discuss the theme. Because at a time AUF and the Labour Party felt very alone in the fight against right-wing terrorism and the fight against the ideology behin the 22nd of July. But now we can finally see that more people are involving themselves in the fight, and a lot of the parties are doing a better job than they did earlier. So that’s good for us.

Liz: And concerning the polarization between right-wing people and left-wing people or youth organizations increasing. Are they getting more apart more and more or are they moving closer to something that is more in the middle?

Julia: Yeah. So I kind of feel like, you know, after 22nd of July, I felt like, OK, we were moving a bit more together because we saw that we actually agree on a lot of things. And we met. We have some of our bigger topics, it’s like common for all the parties. But of course, you can tell in the later years that the parties are very, very different. And I mean, also that 22nd of July has also joined to polarize a bit more because we could see, for example, like the most right party in Norway, they’re kind of like extreme, not super extreme, but they are the most right party we have. They have said a lot of things that is connected to the 22nd of July. That is very awful. And they’re like big politicians who have said a lot of things that is really, really unacceptable things. For example, our minister from that party, said that the Labour Party wanted to put terrorists‘ security before the people’s security and that it would be more important for us. And that was extremely hard to take because that is really just awful. So. And stuff like that has happened several times, and I believe that  things like that have joined to polarize the politics even more, because we understood, OK, really there is really a big difference. And we saw people that really, really took in a settlement with the things and parties that really didn’t do it. And people said a lot of things that really was inappropriate. So I would say that it got more polarized after a while.

Liz: And how do you experience how the media is sanitizing the attacks today, like especially in the year when it’s the 10th anniversary?

Julia: Hmm. So because it is a 10th year anniversary, of course we are talking more about it. And I believe that the media this year has been much better and they want to talk more about it because we really want to put the topic on the agenda because we have to make the people aware that this was not a random attack. In the start, the media and people were talking like, ‘Oh, 22nd of July, it is. It’s a national disaster. It’s like something that just happened. It was a crazy man’. It was just something that it’s not like, ‘Oh, things like that can’t happen in Norway’. This was extreme, but this was not a random attack. It was a political attack in which people were killed on the basis of what they believed in. So we must work together in Norway so that attitudes like this don’t exist any more in our society. I believe that media has a big role in their impact of what people are thinking. Of course, we in the Labour Party and in AUF we really want people to discuss. We don’t have the answer of what can we do to fight right-wing terrorism and to not make 22nd of July happen again. Of course we have our answers, but we don’t have – like maybe a lot of other parties and people have –  a lot of good impact and other other solutions and other things that we can do. We want people to join the debate and to say what they feel and to come up with good arguments and stuff. But it is a difference between that and the people that really are just saying things that is crazy and that’s personal and things like that the AUF is lying about things that’s happened. And that the Labour Party and AUF must take the blame themselves for what’s happened because that isn’t a good way of discussing it because we want people to join the discussion. We want the other parties to join a discussion, but we want to do it in a way that it’s good and that is appropriate.

Liz: I was wondering if the attacks have had an impact on the culture of Norway. Maybe even like concerning music or art?

Julia: Hmm, yeah. So after 22nd of July,  it was not made so much new songs, but some of the songs that was like, for example, in the concerts and stuff. After 22nd of July, we had some songs that was later connected to the 22nd of July. So we have some songs that people connect with 22nd of July, even though they maybe were made before. But now they’re kind of like 22nd of July songs. It was also written a lot of poems and of course, some books. But like this tenth year anniversary, so many books that is coming out in 2021. The AUF for example, wrote their own book this year that we got out now, and I believe in May. So it’s not a long time ago and very, very many people have launched their own books but of course, it had an impact on our culture and changed a lot of things. And we get some songs that were really connected to the day and and some really good books and documentaries as well. Of course, we have some good documentaries and we have several movies and we have a movie going in the cinema right now. Netflix also made an own movie. We have some other movies. So there were also other ways that people could learn about what’s happened and yes, other ways than just regular ways.

Liz: Do you know some of the names of the songs that you connect to the 22nd of July?

Julia: Yes, we have this. It’s called “Til Ungdommen” [von mehreren Personen musikalisch interpretiertes Anti-Kriegs Gedicht von Nordahl Grieg, Anm. der Redaktion] so to translate it, it’s called to their youth. So it wasn’t made for the date, but after the date, it was used for that cause. And we also have this song called “Mitt Lille Land” [Interpretin: Maria Mena, Anm. der Redaktion], which means my little country. So that was kind of a symbol that in our little country things like that can happen. And it was really that song, that means a lot for people today and that has a big meaning.

Marius: Would you say that the adaptations in the movie do a good job adapting to the theme?

Julia: I believe. And like from my personal view, I think that the movies are very different. Some movies and some documentaries are better than others. For example, in the US, they made this Netflix film, and I thought it was OK, but  it was very like extreme. It’s really not the same that I felt when I watched the Norwegian one. It was much more what I have heard that it was like. For example, in one movie that went to the cinema for a couple of years ago, the whole movie was about the viewer followed one person who got attacked on Utøya and you followed every minute she was there and what she did on the island. And of course, that was really, really hard, but also a very interesting and important movie to watch because you really, really got to feel almost like the crazy thing that was going on in the island. But they also made, for example a serie where the topic was much more about what the society did when this happened. So what the media did and for example, after when the attack happened, everyone suggested that this was some Muslims and ISIS and something that was like a terror attack from a Non-Norwegian and everyone was like, really? Yeah. But later we found out that it’s a Norwegian christian guy that is doing this. And you can see in the series the reaction and you can see how how different groups are reacting and and really the the chaotic thing that was going on and how the media wrote about it. So there are  very, very different movies. The movie that came out about AUF came out before it’s in the cinema now. You can follow AUF and four persons from AUF throughout three years and you follow people and they tell a lot about what impact the date has on them today and why some of them wanted to continue politics, and some of them thought it was more difficult. So yeah, I believe that some are better than others, but that’s my personal view. I believe it’s very important that people make movies and series so that we can understand even more and to make the theme a big topic.

Marius: Regarding the presentations in the movies, you just said that some do more like fit what you were told what happened. And can you tell us how present are the survivors of the right-wing terror attack and what role do they play in AUF or in the Norwegian society? Are other people openly speaking about what they have experienced?

Julia: Yes, that’s actually a really, really good question, because you have those people that didn’t want to do politics anymore and maybe find it more hard to speak about 22nd of July. And I really haven’t spoke to everyone about 22nd of July, but the people that experienced 22nd of July that still are active in our organization or was active for not so many years ago, they’re really, really open about what happened. Because, for example, in every conference or meeting we have and we speak about 22nd of July, they always say, for example, that you can ask anything. There’s nothing that I can’t answer. I have got every question before, and I want you guys to feel that you can ask anything because it was our organization that was under attack. And we’re all the same organization. So I believe that people that experience the right-wing terrorism themselves, they they really speak a lot about it on a personal level, but also on a more political level in the media. But I know that many people that speak a lot about right-wing terrorism and especially in AUF, feel like they stand alone and that they need to take the fight alone. And so some of the things that AUF is doing now is to get other parties to involve more, to get more youth parties, for example, to speak more about the 22nd of July and to speak more about right-wing terrorism. So because one thing is what you do is to be open about on a personal level. And AUF is also open on a bigger level. But we can’t be open alone. We need people to to join in and to speak about it and to to join the discussion and to really stick together and to to get solutions and things that we can do to to fight the right-wing terrorism.

Marius: Thank you. We’re coming to the last three, two, three questions now. And earlier you mentioned you took back Utøya and that the AUF came back and took it back from the attack. And I wanted to ask,  has Utøya become a symbol in some kind and what kind of symbol?

Julia: So after the time of 22nd of July, it was very hard to know if the AUF should take it back there or if they should not. So a lot of people wanted not to take it back. But at the end of the day, they took it back. And in 2015, four years after the attack, we had our first summer camp. And many people now, like in 2011, they didn’t want to take the island back. But now they are very happy that they did it because it’s a symbol that love wins over hate. And that a man came to take away our island because if we didn’t take the island back that he would win, then he would manage the thing that he wanted. And the thing that he wanted was that AUF should not exist anymore. It [AUF, Anm. der Redaktion] should be destroyed and not to use Utøya. But when we come back to Utøya and and we do the things that we did before and will use the island to create politics and to be a youth organization, it shows that we are stronger than him and we are stronger than the right-wing thoughts and that we really are are winning at the end of the day. I believe that it’s a very, very important decision for AUF and a very important symbol. But it really hasn’t been easy, and many people may think that it was a bad idea. Some people may think today it is as well, but at the end of the day, I think it’s very important for AUF and a great symbol of how strong we actually are.

Liz: Would you describe how the island looks today. Maybe how the memorial looks like?

Julia: Yes, I do. I don’t know how everything is in English, but I can try to do my best because the island is actually a little island. But when I was on Utøya for the first time, it was actually quite more big than I than I thought. So we have this main house,  after 22nd of July they decided to ruin something and to build up something new and some things they  wanted to destroy. So we have, for example, this main house that is new. We have the cafeteria, we have some conference rooms, but we also have a lot of sleeping places and cabins and stuff around the island. But we also have memorial settlements around the island. So we have –  I don’t think it’s called like this in English – but I think it’s the friend’s house in Norwegian. It’ s called Hegnhuset. So it’s this large building where you can go inside and it’s kind of a museum with pictures from the date and you can see messages between people that were on the island and their parents, for example. But you can like in the building – it’s hard to explain –  but the old place is in the new one. So they have been like the old place in the new one. So you can go actually and see some of the rooms where people were killed. So in the walls, you can see it. For example, shooting marks and if you go in the toilets, you can see where people were hiding and stuff. So of course, the places there, we don’t use them, but you can go and look in the building. So it’s very, very nice. And we also have this, it’s like a big lighting crown. That’s it. That is on the island that is really, really beautiful, that has every name. And they have 69 names of the people who were killed on Utøya on the crown. So when it’s on, the whole crowd is lightning and you can put flowers in it and you can go and look. And just the crown is like in a silent place on Utøya and you can just go there and look and just to think. And it’s very nice. So I believe what is nice for the place on Utøya is that you have this memorial and things that it’s very beautiful and sad but important to look at. But you also have this, you have like the football, you can play football, you can play volleyball, you can go and eat ice cream in the store. You can go and have fun with your friends in the house and stuff like that. So it really is a place for both learning and getting to get new friends and fun stuff, but also a place for you to memorize and to think of the people that we lost.

Liz: Thank you so much. Hopefully, we can come to visit you on Utøya one day with the falcons.

Julia: Yes, that will be great.

Liz: You guys know anything else that you would really like to tell us, that you would like to be part of the memorial that we’re building up in Berlin?

Julia: I feel like I got to answer a lot of things. But I really want to say that until this day Utøya is really my favorite place to be. And I know that that’s the case for very many people in the AUF and it’s really when I go to there, I really feel like it  is my home and this is the home of the organization and it’s a place for learning and engagement and new friendships. So of course, everyone must know that the island has its own history and a story that we can never forget. But AUF has done such a good job to take the island back and to make the island beautiful again, so that’s really important for me to say.

Interview mit Jana Herrmann

Jana Hermann, ehemalige Bundesvorsitzende der SJD – Die Falken, Interview mit Estefania Casajus

Estefania Casajus: Hallo, ich bin Estefania und führe jetzt ein Interview mit Jana. Jana wird sich gleich noch vorstellen. Wir befinden uns im Luise-und-Karl-Kautsky-Haus – im Bundesbüro der Falken – und möchten über den Terroranschlag auf Utøya sprechen, der sich dieses Jahr zum zehnten Mal jährt, und der Frage nachgehen, was so dieser Anschlag für die eigene politische Arbeit bedeutet. Dafür treffen wir uns. Hallo Jana, möchtest du dich kurz vorstellen?

Jana Hermann: Hallo Este, mein Name ist Jana Herrmann, ich bin bis letzten Monat Bundesvorsitzende der SJD – Die Falken gewesen, also bis Mai 2021, ich bin davor vier Jahre Bundesvorsitzende gewesen, insgesamt bin ich zehn Jahre im Bundesvorstand gewesen. Ich bin gewählt worden auf der Bundeskonferenz 2011 in Hamburg, das heißt, ich war auch schon im Bundesvorstand, als der Anschlag stattgefunden hat.

EC: Du bist also schon sehr lange bei den Falken und auch schon sehr lange auf Bundesebene aktiv. Und was sind so deine Themen, die dich in letzter Zeit bei den Falken besonders beschäftigt haben, wo du dir selber vielleicht auch Schwerpunkte gesetzt hast, oder die dir auch besonders wichtig waren, dass sie bei den Falken behandelt werden, und dass man sich bei den Falken damit auseinandersetzt?

JH: Ich bin ja seit vier Jahren Bundesvorsitzende, ich bin vor vier Jahren als Bundesvorsitzende gewählt worden, und dann haben wir zwei Jahre uns mit anderen Schwerpunkten auseinandergesetzt und haben dann zu unserer Bundeskonferenz 2019 in Recklinghausen eingebracht, dass wir uns gerne verstärkt mit dem Thema rechter Terror auseinandersetzen möchten, weil wir festgestellt haben, dass das was ist, was uns als Sozialistische Jugend Deutschlands akut betrifft, aber auch viele Menschen bewegt und auch persönlich betrifft, die sich bei uns organisieren, oder die wir wichtig finden, gesellschaftlich zu vertreten. Zu dem Zeitpunkt hatten viele Anschläge, die uns heute bewegen, noch nicht stattgefunden, deshalb haben wir uns damals entschieden, wir möchten … oder wir haben uns damals zum Anlass genommen, uns mit rechtem Terror auseinanderzusetzen, weil damals auch noch das Thema NSU sehr akut war, obwohl der auch zu diesem Zeitpunkt natürlich schon eine ganze Weile aufgedeckt war, aber wir hatten den Eindruck, es gab ja diese Schlussstrich-Debatten, also man hatte den Eindruck, unter den NSU soll jetzt ein Schlussstrich gezogen werden, man habe das alles soweit aufgeklärt, wie man es für notwendig hält, da sind die Täter. die noch lebten, verurteilt worden, Beate Zschäpe. und mit ihr gemeinsam wurden ja noch ein paar weitere Personen vor Gericht gestellt, und das waren dann die Zeiten, in denen man über diese Schlussstrich-Debatten diskutiert hat. Wir fanden das erstmal wichtig, sich weiterhin mit dem NSU zu beschäftigen, weil die NSU-Akten sind ja bis heute nicht vollständig freigegeben. Und unser Eindruck war, dass man das den Hinterbliebenen, auch den Opfern beispielsweise der Nagelbombenanschläge et cetera, dass man denen das schuldig ist, sich weiter mit der Thematik auseinanderzusetzen, weil die ja einfach jahrelang auch unter Verdacht standen, selber in diese ganzen Machenschaften involviert zu sein. Denen hat man ja Vorwürfe gemacht, in mafiösen Zusammenhängen aktiv zu sein, oder irgendwie mit kriminellen Drogengeschäften zu tun zu haben, und deswegen hätten diese Anschläge stattgefunden. Und wir fanden, dass man sich gesellschaftlich schon mehr damit beschäftigen muss als zu sagen „okay, ja tut uns leid, ihr hattet damit nichts zu tun“ und da einen Schlussstrich drunter zu ziehen. Das war einer der Anlässe.

Und es gab zwei weitere. Ein weiterer war, dass wir uns mehr mit den Anschlägen auf Geflüchtetenunterkünfte der 1990er Jahre auseinandersetzen wollten, weil ja auch die vermeintliche Flüchtlingswelle zu diesem Zeitpunkt noch nicht so lange her war, die ja auch noch einmal eine rassistische Debatte in Deutschland hat aufkommen lassen. Auch darüber wollten wir gerne sprechen und uns war auch wichtig, über Utøya zu sprechen, weil uns bewusst geworden war, dass dieses Jahr, 2021, sich der Anschlag zum zehnten Mal jähren wird. Und dieses Ereignis für die Sozialistische Jugend als Schwesterorganisation der AUF, die damals betroffen war, weil das für uns eine große Bedeutung hat und auch eine große Zäsur für den Verband dargestellt hat.

EC: Kannst du dich noch daran erinnern, wo du gewesen bist, als der Anschlag in Oslo und auf Utøya passiert ist?

JH: Ich kann mich ehrlich gesagt nicht mehr hundertprozentig daran erinnern. Ich war auf jeden Fall nicht im Zeltlager. Ich bin in dem Jahr, glaube ich, gar nicht ins Zeltlager gefahren, weil ich da studiert habe seit einem Jahr, aber ich kann mich daran erinnern, dass das für uns als Bundes-SJ-Ring, damals waren wir sechs Mitglieder im Bundes-SJ-Ring, wir haben sofort Kontakt zueinander aufgenommen, das war ein großer Schock, weil wir wussten, das ist eine Schwesterorganisation der Falken, bei der das da passiert ist, und wir haben dann beziehungsweise einzelne Personen aus dem Bundes-SJ-Ring haben dann auch sehr schnell eine Gedenkfeier organisiert. Die hat damals in Dortmund in den Katharinentreppen stattgefunden. Da haben wir dazu aufgerufen, da zusammenzukommen und zu gedenken und es hat auch wahnsinnig viel mit uns gemacht, weil sich einige Gliederungen schon im Zeltlager befanden und wiederum andere in den Startlöchern befanden, ins Zeltlager zu fahren.

Und ich weiß, dass man damals dachte, weil der Täter ja auch von sich behauptet hat, er sei sehr gut vernetzt, und er sei Teil einer internationalen Bewegung, dass schon die Sorge im Raum stand, es könnten jetzt weitere Anschläge auf andere Zeltlager erfolgen, und sich viele dann überlegt haben, ob sie überhaupt ins Zeltlager fahren können. Einmal weil man so eine konkrete Gefahr vermutet hat, zum anderen aber auch, weil das Ganze so große Wellen geschlagen hat, dass das natürlich auch Eltern von potentiellen Teilnehmer:innen der Zeltlager mitbekommen haben, und die wiederum – also es hatte sich dann relativ schnell herausgestellt, dass sich dieser Verdacht, dass er so gut international vernetzt ist, gar nicht erhärtet, und es wahrscheinlich keine weiteren Anschläge gibt – aber Eltern von Teilnehmer:innen hatten diese Sorge, und dann weiß ich, dass viele Gliederungen dann noch einmal extra Elternabende eingeführt haben, nochmal extra Kontakt mit den Eltern aufgenommen haben, um die Zeltlager überhaupt stattfinden lassen zu können. Das war damals ein sehr großes Thema. Und es sollte damals ja auch ein IUSY-Camp in dem Jahr stattfinden, zu dem auch Falken hinfahren sollten, und es war wirklich Tage davor, also sehr kurzer zeitlicher Abstand, und auch da gab es große Bedenken, dieses Zeltlager überhaupt stattfinden zu lassen.

EC: Und wie hast du von dem Anschlag erfahren?

JH: Ich denke, dass ich tatsächlich über meine Genoss:innen aus dem Bundesvorstand darüber in Kenntnis gesetzt worden bin, weil 2011 war ja noch gar nicht so die Zeit von Facebook, also ich hatte zu der Zeit, glaube ich, noch kein Facebook oder irgendwelche Smartphone-Nachrichtenapps, und habe mich dann aber im Internet natürlich sofort darüber informiert, was da vorgefallen ist. Aber ich bin mir relativ sicher, dass ich wahrscheinlich von Julian Holter oder Josephin Tischner oder Roland Brose aus dem Bundesvorstand darüber informiert worden bin damals.

„Uns ist schon relativ schnell klargeworden, dass das ein Angriff auf die Arbeiter:innenjugend gewesen ist“

EC: Und was waren deine ersten Gedanken, die dir aufgekommen sind, als du das erfahren hast, und wie hast du dich darüber ausgetauscht? Wie habt ihr das im Bundesvorstand damals diskutiert?

JH: Also ich glaube, das war ein wahnsinniger Schock. Man hat sich natürlich, auch wenn das heute vielleicht ein bisschen egoistisch klingt, als erstes hat man natürlich immer Angst, dass jemand dagewesen sein könnte, den man kennt, und dass jemand betroffen sein könnte, mit dem man vielleicht schon mal irgendwo Zeit verbracht hat. Also man fragt sich dann auch: Sind vielleicht Falken auf diesem Camp gewesen? Und gleichzeitig ist uns schon relativ schnell klar geworden, dass das nichts ist, was für sich steht, also dass das ein Angriff auf die Arbeiter:innenjugend gewesen ist. Also damit, dass das eine Schwesterorganisation von uns war, es war ja auch relativ schnell klar, dass das wahrscheinlich ein rechter Anschlag gewesen ist, und deswegen hat das bei uns ganz ganz große Angst ausgelöst, also die große Sorge, dass man sich jetzt auch gezielt Kinder und Jugendliche als Anschlagsopfer raussucht.

Es hat eine große Sicherheitsdebatte bei uns ausgelöst – und gleichzeitig aber auch das Bewusstsein, dass in solchen Zeiten, wo man als Bewegung angegriffen wird, der Zusammenhalt auch wichtiger wird. Also dass wir mit sowas nicht alleine umgehen wollen, dass wir nicht alle zu Hause sitzen wollen, und Zeltlager ausfallen lassen wollen, die für uns so viel bedeuten, sondern dass es jetzt gerade wichtig ist, die Sachen durchzuziehen und sich gemeinsam zu treffen und gemeinsam darüber auszutauschen, weil man mit diesen Ängsten nicht alleine bleiben sollte. Und wir sind ja auch nicht als Einzelpersonen angegriffen worden, sondern die Bewegung ist angegriffen worden. Der Täter hat sich ja damals, das war zu diesem Zeitpunkt ja gar nicht so klar, aber später hat sich ja herausgestellt, der hat das bewusst gemacht, um die Zukunft der – für ihn: Kulturmarxisten – für uns: sozialistischen Bewegung auszulöschen. Es war ja das erklärte Ziel, eine Generation von politischen Aktivisten komplett auszuradieren. Und gerade deswegen ist es, glaube ich, wichtig, sich dagegen zu organisieren und sich nicht einschüchtern zu lassen, weil sonst hat man ja das indirekt auch zugelassen, dass das tatsächlich auch passiert, wenn man sich davon so verunsichern lässt, dass man die politische Arbeit einstellt.

EC: Das heißt, ihr seid einerseits bei den Falken noch einmal enger zusammengerückt, dass man Orte gesucht hat, wo man darüber sprechen kann, aber vielleicht auch für die internationale Arbeit, dass man da enger zusammengerückt ist mit den Partner:innen in Europa, aber auch in anderen Ländern. Was würdest du sagen, welche Rolle spielt der Anschlag auf Utøya heute für die Falken?

JH: Ich würde sagen, jetzt gerade in dem Jahr, in dem es sich zum zehnten Jahr jährt, nochmal eine ganz besonders große Rolle. Aber insgesamt ist es im kollektiven Bewusstsein schon drin. Weil ich stelle jetzt immer wieder fest, wie Genossinnen und Genossen, die jetzt so 14 – 15 sind, die sind ja zu der Zeit noch im Kindergartenalter gewesen, die haben das also damals nicht bewusst mitverfolgt, viele waren vielleicht auch noch gar nicht bei den Falken. Und uns ist es deswegen schon ein großes Anliegen, mit ihnen über das Thema zu sprechen, und gleichzeitig ist es wahnsinnig schwer, mit jungen Menschen über einen Terroranschlag auf ein Zeltlager zu sprechen, wenn man zum Beispiel mit ihnen auf in Zeltlager fahren will oder gerade in einem Zeltlager ist. Weil das Ziel unserer Bildungsarbeit ist ja nicht, Leuten Angst zu machen, oder ihnen ein Gefühl zu geben, dass sie unsicher sind, wo man sich gerade befindet.

„Man stellt sich unweigerlich die Frage: Könnte so etwas auch bei uns passieren?“

Gleichzeitig ist uns sehr wichtig, einmal aus internationaler Solidarität, also weil es ein Angriff auf eine Schwesterorganisation gewesen ist, mit der wir, glaube ich, als Falken gar nicht so besonders eng waren. Also das ist ja schon auch eine Parteijugend, und wir haben in der IUSY und YES sehr viele Parteijugenden als Schwesterorganisationen, aber ich könnte mich jetzt nicht erinnern, dass wir in den letzten zehn, fünfzehn Jahren besonders aktiv Kontakt mit der AUF gesucht hätten, wenn nicht das passiert wäre. Weil man gar nicht so … das hat sich gar nicht so ergeben, jetzt gar nicht als bewusste Entscheidung. Aber aus Solidarität bezüglich dessen, was da passiert ist, haben wir uns da schon viel damit auseinandergesetzt, und weil es im Zeltlager sehr häufig um den 22. Juli geht, das auch immer wieder aufkommt, es finden ja Gedenkveranstaltungen auch in den Zeltlagern üblicherweise statt, und dann kommen da viele Fragen auf, und damit befassen wir uns dann.

Und es ist auch insofern relevant, dass man sich ja dann damit unweigerlich die Frage stellen muss: Könnte so etwas bei uns auch passieren, weil wir Linke sind? Also könnten wir als linke Organisation auch Ziel von einem Terroranschlag werden? Oder bringen wir uns in irgendeiner Art und Weise in Gefahr, dass wir uns zu Rassismus äußern, dass wir offen sagen, wir machen sozialistische Erziehung, wir sind ein feministischer Verband? Alles das sind ja Dinge, für die der Täter damals die AUF verantwortlich gemacht hat. Also er hat ja die Flüchtlingspolitik Norwegens kritisiert, er sich auch sehr kritisch über die Rolle von Frauen in der sozialdemokratischen Partei und wie sie die Rolle der Frauen in der Gesellschaft verändert hat geäußert – und das sind ja alles Dinge, für die stehen wir aus Überzeugung, und damit macht man sich ja auf eine gewisse Art und Weise zu einem attraktiven Anschlagsziel. Und gleichzeitig, in dem Moment, wo man da aufhört, für diese Dinge zu kämpfen, haben solche Täter eben ihr Ziel erreicht. Und bei uns organisieren sich ja auch nicht nur Linke, sondern bei uns organisieren sich ja Menschen, die in vielfältiger Art und Weise für das stehen, was diese rechten Täter hassen, also bei uns organisieren sich Menschen, die People of Color sind, Frauen, die einen positiven Bezug zum Feminismus haben, bei uns kann sich jede:r organisieren, unabhängig von Behinderungen oder Einschränkungen, und genau das sind ja Dinge, die solche Täter versuchen anzugreifen. Und deshalb ist es für uns sehr präsent.

Also man kann auch sagen, möchte ich noch einmal hinzufügen, dass das auch nicht nur uns durch Utøya bewusst geworden ist. Meine Vorgängerin Josephin Tischner ist am Ende ihrer Amtszeit auch kontaktiert worden vom Verfassungsschutz, weil die SJD – Die Falken auf einer Anschlagsliste des NSU gestanden haben. Also auch da sind wir … also man weiß natürlich überhaupt nicht, was das heißt, – vielleicht war es auch nicht der Verfassungsschutz, sie ist auf jeden Fall von behördlicher Seite kontaktiert worden – weil die Falken, das Falken-Bundesbüro auf so einer Liste des NSU, die bei dem gefunden wurde, gestanden haben – und man weiß halt nicht, was das heißt, es könnte bedeuten, dass sie das irgendwie das Luise-und-Karl-Kautsky-Haus ausgespäht haben, aber es könnte auch sein, dass sie beim Googeln darauf gestoßen sind und das mit auf eine Liste aufgenommen haben. Aber auch da muss man sagen, dass … ja, dass … weiß ich gerade nicht, Entschuldigung.

EC: Ja, ich glaube auch, die Bedrohung von rechts gegenüber linken Jugendverbänden oder anderen linken Gruppierungen ist ja wirklich real und in der Geschichte der Falken gab es ja auch immer wieder rechte Übergriffe, dass Genoss:innen zusammengeschlagen worden sind, es hat mehrere Brandanschläge auf das Anton-Schmaus-Haus der Falken in Neukölln gegeben, es hat Ankündigungen von Nazis gegeben, dass die auf Sommerzeltlagern mit Kindern ab acht Jahren vorbeikommen, also diese Bedrohung ist ja durchaus sehr real. Also so dass rechter Terror eben ein Anschlag wie auf Utøya ist, aber dass rechter Terror vielleicht auch noch etwas weiter gefasst werden kann. Wie siehst du das?

JH: Ja, da würde ich dir auf jeden Fall zustimmen. Ich finde, man merkt schon im Verband eine Veränderung mit der Begrifflichkeit des Terrors umzugehen. Weil da vorher eine ganz große Sperre war. Es haben ja im selben Jahr, als die Utøya-Anschläge stattgefunden haben, auch zwei Anschläge auf das Anton-Schmaus-Haus in Neukölln stattgefunden. Also es ist zweimal im selben Jahr abgebrannt, und zum Glück waren da keine Menschen im Haus. Aber der eine Anschlag war auch in der Reichspogromnacht, also am 9. November. Und als das 2011 passiert ist, war es auch ein großes Thema, weil das Anton-Schmaus-Haus große Probleme mit der Versicherung bekommen hat, und nur unter hohen Sicherheitsbedingungen wieder aufgebaut werden konnte. Wir haben jedenfalls sehr viel darüber diskutiert und ich wüsste nicht, dass wir damals den Begriff rechter Terror dafür verwendet hätten – sondern wir haben von faschistischen Anschlägen, von Nazis et cetera gesprochen, weil man sich glaube ich da gar nicht – also man wollte so ein großes Wort dafür nicht benutzen, man hat das als unangemessen empfunden. Und das ist uns am Anfang, als wir angefangen haben, uns mit rechtem Terror auseinanderzusetzen, unserem Projekt „Kontinuitäten …“, wie heißt es denn …

EC: … „Kontinuitäten durchbrechen“ …

JH: „Gegen rechten Terror – Kontinuitäten durchbrechen”. Als wir angefangen haben, uns mit diesem Thema auseinanderzusetzen, ist uns erstmal ein bisschen Gegenwind entgegengekommen, weil Leute das Gefühl hatten, man macht sich selber damit irgendwie wichtig, oder man will da jetzt die Linken in den Fokus rücken, wo eigentlich vor allem Betroffene von Rassismus, Betroffene von Ableismus et cetera stehen sollen.

Und ich würde sagen, dass das alles miteinander zusammenhängt. Und das genau das den rechten Terror ausmacht, dass das nicht Einzeltaten sind, sondern dass das ein größeres Netzwerk ist, in dem Leute bewusst agieren, und sich untereinander auch vernetzen.

„Das Ziel (rechten Terrors) ist, Leute so zu verunsichern, dass sie aufhören, politisch aktiv zu sein“

Und dies Vernetztsein bedeutet ja noch nicht einmal unbedingt, dass sie sich kennen und miteinander chatten oder so, sondern solche Täter beziehen sich positiv aufeinander – also bei total vielen Terroranschlägen, die in den letzten Jahren stattgefunden haben, haben sich die Täter positiv auf Anders Breivik bezogen, als jemanden, den sie als ihr Vorbild betrachtet haben, weil er in der Sache endlich mal durchgesetzt hat. Und für die Betroffenen, also für alle, die auch potentiell Opfer von so einem Anschlag werden könnten, entsteht der Terror ja dadurch, dass man nie weiß: Wann könnte jetzt was passieren? Kann ich das machen oder bringe ich mich dadurch in Gefahr? Bin ich eigentlich einem größeren Risiko ausgesetzt, wenn ich mich bewusst für politisches Engagement entscheide?

Das Ziel dabei ist ja die Leute so zu verunsichern, dass sie aufhören, politisch aktiv zu sein. Oder beispielsweise im Fall, wenn sich rechter Terror gegen Geflüchtete richtet, ist ja auch das Ziel der Täter – diese Leute sollen das Land verlassen, die sollen sich hier nicht sicher fühlen, und deswegen sollen die jetzt verschwinden – und das ist ja in einer Art und Weise auch sehr wirkmächtig, das funktioniert ja auch, und genau das würde ich sagen macht rechten Terror aus. Also man kann nicht nur von Terror sprechen, wenn dabei besonders viele Menschen oder eine bestimmte Anzahl von Menschen gestorben ist, oder wenn bestimmte Waffen verwendet worden sind, sondern dieses Konstrukt, Menschen kollektiv als Gruppe Angst zu machen, das macht den Terror aus.

EC: Also Terror ist quasi auch der tägliche Rassismus, den Leute auf der Straße erfahren, oder die täglichen Anfeindungen, was sich ja auch ins Gedächtnis einbrennt, oder was, wie du ja schon auch sagst, einem so sehr Angst machen kann, dass man sich nicht mehr traut, sich politisch zu äußern, oder sich nicht mehr so kleidet, wie man es vielleicht möchte?

JH: Ich denke, das bildet die Grundlage dafür. Also ich glaube, dass ein Großteil der Wirkungskraft, die rechter Terror hat, sich dadurch entfaltet, dass Leute Angst haben, Opfer von Terror zu werden. Und genau wie du sagst – also das ist auch ein gutes Beispiel, da haben wir jetzt noch gar nicht drüber gesprochen – auch queere Personen als potenzielles Anschlagsziel, dass auch ihnen möglicherweise dann subtil unterstellt wird, man sollte die eigene Queerness oder die eigene sexuelle Orientierung oder die Menschen, die man liebt, man sollte das vielleicht ein bisschen besser verstecken. Das ist dann sowas, was dazugehört, also dass gesagt wird, also manche Menschen können das ja nicht, aber du musst ja nicht so rumlaufen, du musst ja nicht auf der Straße Händchen halten, du musst dich ja nicht so und so anziehen, dass man unterstellt bekommt, man würde es ja auch herausfordern, durch sowas angegriffen zu werden, und das finde ich ein Riesenproblem, weil man Leuten dann eigentlich so eine Mitschuld an diesem Konstrukt der Angstmacher gibt, und man könnte das ja vermeiden. Und wir Falken stehen für eine Welt, in der jeder und jede so sein kann, wie sie sein möchte, und frei leben kann, wie sie sein möchte oder wie er sein möchte, und das ist für mich einfach keine Option, dass Leute sich einschränken müssen, damit sie nicht potentiell Opfer von Gewalt werden.

EC: Das heißt also, gerade oder trotz dieser Anschläge oder trotz des rechten Terrors oder gerade deswegen muss man sich auch die Stimme erheben, vielleicht auch für Genoss:innen, die es gerade nicht können, oder die eingeschüchtert werden oder die bedroht werden, also dass auch so die Rolle von Sozialist:innen ist, miteinander zu kämpfen, aber auch im Zweifelsfall für andere einzustehen, die es gerade vielleicht nicht können.

JH: Ja, das würde ich schon so sehen, also in dem Moment, wo wir darauf aufmerksam machen, dass wir uns als Organisation durch sowas bedroht sehen, geht es uns natürlich nicht nur um die Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken, sondern es geht uns darum aufmerksam zu machen, dass das was ist, was Menschen, die sich nicht nach bestimmten … nein, das stimmt noch nicht mal, also das ist ja potentiell in dem Moment, wo du dich in irgendeiner Form äußerst oder in irgendeiner Form nicht der rechten Ideologie, dem rechten Weltbild entspricht, machst du dich ja potentiell angreifbar. Und deswegen stehen wir in Solidarität mit allen, die ihr Leben frei davon leben möchten, frei von Angst leben möchten.

EC: Und was würdest du sagen, hat der Anschlag auf Utøya mit der Gesellschaft zu tun, in der wir leben? Also auch so ein bisschen die Frage, zu der Empörung, die Leute vielleicht haben, als sie das mitbekommen haben, also dass man sich so wundert, warum sowas auf einmal passiert, oder wie solche Anschläge eigentlich passieren, wenn man irgendwie so die Gesellschaft vielleicht eher so wahrnimmt aus so einem Bild, dass es eine politische Mitte gibt, und dann irgendwie so die Ränder rechts außen, was, glaube ich, häufig so mit so Empörung oder diesem Erschrecken auch einhergeht, wenn man von solchen Anschlägen mitbekommt. Oder nochmal anders: Was würdest du sagen, was hat der Anschlag auf Utøya mit der Gesellschaft zu tun, in der wir leben?

JH: Also, ich glaube, dass rechter Terror allgemein erstmal etwas ist, was gesellschaftlich überhaupt nicht ernst genommen wird, weil man davon immer ausgeht, dass jede Tat, die passiert, für sich steht, und der größere Zusammenhang, dass wir eine Gesellschaft sind, die solche Täter produziert, wird, glaube ich, erstmal nicht erkannt in dem Moment. Wo man beispielsweise den NSU, das Umfeld des NSU nicht mehr untersucht, sich nicht genau anguckt, wie sind die Leute eigentlich in das, was da passiert ist, verstrickt gewesen, wenn man die Öffentlichkeit nicht auch voll und ganz transparent darüber aufklärt, wer da alles involviert war, wie auch die Rolle des Verfassungsschutzes und der Polizei war, – in dem Moment lässt man zu, dass sich aus dem Umfeld neue Täter:innen rekrutieren, also Menschen, die wieder bereit sind, solche Taten zu begehen. Und das ist ein gesellschaftliches Problem, was meiner Meinung nach immer noch nicht angegangen worden ist. Also wir haben das jetzt in den letzten Jahren bei Hanau und bei Halle gesehen, wir haben das bei dem Mordfall Walter Lübcke gesehen, teilweise sind die Prozesse auch schon transparenter gelaufen, aber es gibt immer noch die Vorstellung davon, dass sich eine einzelne Person im Internet radikalisiert hat, und gar nicht die Vorstellung davon, dass eine Person – also diese Täter gehen häufig davon aus, dass sie der Gesellschaft jetzt etwas Gutes tun, indem sie diesen Anschlag machen, die denken, alle Leute in der Gesellschaft denken so wie ich, alle hassen hier die Flüchtlinge, alle hassen hier die Juden und ich bin hier jetzt derjenige der aktiv wird und der das endlich mal durchzieht – man geht von einem gesellschaftlichen Konsens aus. Und davon können sie ja nur ausgehen, weil die Gesellschaft gar nicht klar genug sich gegen solche Ideologien positioniert, also in dem man sich nicht auf die Straße begibt, wenn eine Synagoge angegriffen worden ist, oder indem man nicht Rassismus benennt, gibt man im Stillen den Tätern immer recht mit dem, also auch wenn, wir haben ja gerade auch schon darüber gesprochen, dass so rassistische Äußerungen oder so Mikroaggressionen oder so, dass die auch ein Teil von rechtem Terror sind, weil die immer wieder solchen Leuten Recht geben in dem was sie tun – also ihnen den Eindruck vermitteln, sie würden jetzt etwas machen, was sich alle erhoffen, dass das irgendwann mal jemand tut.

EC: Ja, das ist auch mein Eindruck, also das ist so, als wäre man so der Vollzieher des Willens einer stummen Masse oder so, die irgendwie, ja …

JH: Genau.

EC: … die schweigt, aber auch eigentlich genau das möchte. Was ja auch ein bisschen mit Wahnvorstellungen zu tun hat, würde ich sagen.

JH: Aber auch da würde ich sagen: Das ist ja wieder eine totale Gefahr. Man geht davon aus, die Leute imaginieren sich irgendetwas, und deshalb sind die in irgendeiner Art und Weise verrückt. Und das würde ich wiederum auch nicht sagen. Die haben es geschafft, so eine Tat zu planen, und die haben es geschafft, sich die entsprechenden Waffen zu besorgen. Wie im Falle von Anders Breivik: Der hat das geschafft, so ein Manifest sich zusammenzuklauen und zu -kopieren meinetwegen, aber das an etliche E-Mail-Adressen-Empfänger zu versenden, der hat das geschafft über Wochen und Monate sich das Material für den Bau einer Autobombe zusammenzuorganisieren, und der ist nicht verrückt, der ist überzeugt von der Ideologie, für die er dann bereit ist, in einen bewaffneten Kampf zu gehen. Und das gilt, glaube ich, für die meisten dieser Täter, also das ist natürlich … das kommt einem Wahn hervor, aber die Leute haben sehr bewusst und überzeugt gehandelt in dem Moment, als sie bereit waren, auch dafür zu morden, was die politisch denken.

EC: Ja, vielen Dank für deine Ausführungen. Möchtest du zum Abschluss noch etwas sagen oder etwas mitgeben?

JH: Ja, ich würde vielleicht gerne noch einmal ein bisschen über das Thema Gedenken sprechen und warum das eigentlich für uns als Verband so wichtig ist, sich mit Gedenken auseinanderzusetzen. Weil als wir angefangen haben, über das Thema rechter Terror zu sprechen bei der SJD – Die Falken, gab es ganz große Bedenken, ob man, wenn man jetzt – wir haben immer gesagt „neuer rechter Terror“ am Anfang, mittlerweile sind wir dazu übergegangen, einfach „rechter Terror“ zu sagen – und wir hatten irgendwie das Bedürfnis, eine Gedenkkultur zu schaffen, für das was da passiert ist, und uns ist häufig dann begegnet, dass Leute sich Sorgen gemacht haben, dass wir diese Taten mit dem Terror des Nationalsozialismus vergleichen würden, indem wir uns mit Gedenkkultur auseinandersetzen und damit irgendwie versuchen würden, ja, da Parallelen zu ziehen. Und wir haben uns ja als Verband vor einigen Jahren auch anlässlich der 75-jährigen Befreiung von Auschwitz damit auseinandersetzt, wie wir dem nationalsozialistischen Terrorregime gedenken können, oder wie wir den Opfern des Holocausts gedenken können, und, ich glaube, Leute haben sich Sorgen gemacht, dass wir das irgendwie miteinander vermengen, und dass das irgendwie eine unsachliche Vermengung da passieren könnte.

„Gedenken ist Ausdruck politischer Verantwortungsübernahe“

Und dabei muss man sich aber bewusst machen, dass die Menschen, die solche Terroranschläge überlebt haben, oder bei denen im Umfeld sowas passiert ist, vielleicht also Angehörige, die jemanden verloren haben, dass das für die wahnsinnig wichtig auch ist, dass sie gesellschaftliche Solidarität bekommen, und dass sie nicht die einzigen sind, die denjenigen gedenken, die da gestorben sind. Weil das ist dann immer so ein individualisiertes Denken: Man kannte jemanden und man ist traurig darüber, dass der tot ist. Aber Gedenken ist ja ein Ausdruck von politischer Verantwortungsübernahme. Also man stellt fest, da ist etwas passiert, das ist absolut schrecklich gewesen, und wir übernehmen jetzt die Verantwortung, zu verhindern, dass so etwas noch einmal passiert, indem wir aber auch gleichzeitig unserer Trauer Ausdruck verleihen, dass so etwas passieren konnte.

Und deswegen finde ich es total wichtig, dass nicht nur diejenigen, die davon ganz akut betroffen waren, solches Gedenken organisieren, und deswegen haben wir als Falken uns entschieden, dass wir für Utøya auch ein Denkmal haben möchten. Dass wir einen Ort haben, an den wir kommen können, um uns zu erinnern, was da passiert ist. Und in den vergangenen Jahren hat dieses Gedenken immer an den Nordischen Botschaften in Berlin stattgefunden, da sind am 22. Juli die Falken und die Jusos zu den Nordischen Botschaften gekommen und haben die Namen oder auch die Gesichter der Verstorbenen von Utoya da auf den Boden gelegt und haben Lieder gesungen und haben Reden gehört und haben auch die Namen der Verstorbenen verlesen. Und uns ist das aber auch erstmal wichtig, dass man auch einen festen Ort hat, an den man kommen kann, zu jeder Zeit im Jahr. Und wir fanden dass, die Nordischen Botschaften auch nicht der komplett richtige Ort sind. Also es ist natürlich der regionale Bezug und wir wissen auch, dass die Mitarbeiter der Nordischen Botschaft das Thema auch wichtig finden, aber wir wollten noch einmal darauf aufmerksam machen, dass da nicht die Nation Norwegen angegriffen worden ist, sondern da ist die Arbeiter:innenjugendbewegung angegriffen worden, und wir haben uns deswegen auch bewusst dazu entschieden, das Denkmal an das Anton-Schmaus-Haus in Neukölln zu setzen, weil das ASH auch nicht das einzige Anschlagsziel in Neukölln der letzten zehn Jahre gewesen ist. Also da sind von Politiker:innen über Buchläden bis hin Personen, die PoC waren, in Neukölln viele Menschen angegriffen worden. Also es hat Brandanschläge gegegeben, es hat auch einen bis heute nicht aufgeklärten Mord an Burak Bektaş gegeben, der hat ja auch ein Denkmal in Neukölln bekommen, und auch da weiß man aber gar nicht, wer sind die Personen, die eigentlich hinter dieser Anschlagsserie stehen. Und da könnte man jetzt sagen, das hat nichts miteinander zu tun, das eine hat in Norwegen stattgefunden, das andere hat in Neukölln stattgefunden – und ich würde sagen, das hat total viel miteinander zu tun, weil genau hier, dadurch, dass es keinen vernünftigen Ansatz gibt, diese ganzen Dinge miteinander in Zusammenhang zu bringen und die aufzuklären, übernimmt man nicht die Verantwortung insofern, zu verhindern, dass das weitergeht. Und ich glaube deswegen ist Neukölln und das Anton-Schmaus-Haus genau der richtige Ort um so ein Mahnmal aufzustellen, und zu sagen, solche Dinge passieren, wenn die Gesellschaft sich nicht kritisch mit Rechten in ihrer Mitte auseinandersetzt.

EC: Und was sind eure Pläne für den 22. Juli dieses Jahr?

JH: Am 22. Juli soll das Denkmal eröffnet werden. Es ist eine Bronzetafel, die die Namen aller Opfer enthält, auch derjenigen von Oslo, weil es uns wichtig ist, auch mit zu nennen, auch wenn die ja nicht Teil unserer Schwesterorganisation gewesen sind, aber das war ja ein Versuch des Angriffs auf das Büro von Jens Stoltenberg, der ja auch Mitglied der Arbeiterpartei in Norwegen ist.

Und wir möchten am 22. Juli neben dem Denkmal auch Bildungsmaterial dazu freigeben, bekanntgeben, öffentlich machen, das heißt, es wird an dem Denkmal einen QR-Code geben, über den man, über den ja vielleicht Leute, die jetzt zuhören, auch auf dieses Material gestoßen sind, weil uns wichtig ist, das uns auch zu kontextualisieren – wie ich gerade schon gesagt habe: manche Menschen, die jetzt 16 sind, sind damals noch zu jung gewesen, die wissen vielleicht nicht, was damals passiert ist – und ein bisschen zu erläutern, auch was die Ideologien sind, die wir da bekämpfen, das ist uns wichtig.

Und wir möchten gerne auch eine größere Veranstaltung in diesem Rahmen organisieren, weil es eben das zehnjährige Gedenken ist, das heißt, es wird eine Podiumsdiskussion geben mit Menschen, die sich mit der Thematik auseinandergesetzt haben. Uns ist auch wichtig, wenn wir das … also uns wäre wichtig das zu schaffen, auch Opferperspektiven in diese Diskussion reinzubringen, Menschen zu Wort kommen zu lassen, die von rechtem Terror betroffen sind, oder akut darunter leiden. Wir würden auch gerne einen der Utøya-Filme öffentlich zeigen, weil natürlich Filme auch eine wichtige Form von Auseinandersetzung mit solcher Themen sind, die erreichen noch einmal ganz andere Menschen, und das ist eine kulturelle Form von Auseinandersetzung mit solchen Themen, die wir auch gerne unterstützen möchten, obwohl das, glaube ich, nicht der einzige Bildungsinhalt sein sollte, sich einen Film anzugucken.

EC: Das heißt, ihr macht nicht nur ein Gedenken, wie die Jahre davor auch, sondern schafft ein Fest, einen Gedenkort in Berlin, in Neukölln, den auch zukünftig Jugendliche und Genoss:innen besuchen können, an dem man sich bilden kann, einerseits zu Utøya, zu dem Terroranschlag, zu unserer Schwesterorganisation, der AUF, aber eben auch angehalten ist, sich damit auseinanderzusetzen, was rechter Terror eigentlich bedeutet, wie Täter:innen miteinander vernetzt sind, und wie viel das eigentlich mit der Gesellschaft oder auch den gesellschaftlichen Umgangsformen zu tun hat, in denen wir leben, und das ist somit eine Einladung auch für alle, die sich damit auseinandersetzen wollen, den Ort zu besuchen, unseren Gedenkort, den wir dort schaffen möchten.

JH: Ja, wir haben uns auch mit der Frage, ob wir das Denkmal dahin setzen möchten, gar nicht so leicht getan, weil das Anton-Schmaus-Haus ja umzäunt ist mit einem sehr, sehr hohen Zaun, der Bedingung der Versicherung war, um das Haus überhaupt wieder aufzubauen. Es gibt Kameras und man kann auch nicht auf das Gelände. Und das widerspricht natürlich im ersten Moment auch unserer Vorstellung von einem Denkmal, das immer zugänglich ist für alle, und wo man jederzeit hinkommen kann, um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen; gleichzeitig bedeutet das natürlich auch Schutz für das Denkmal, weil es, glaube ich, nicht so absurd ist zu befürchten, dass Menschen sich das Denkmal als Ziel für Graffiti oder Säureanschläge aussuchen könnten. Das hat ja bei dem Denkmal auch an Burak Bektaş hier auch so stattgefunden, also das ist auch mit Säure bespritzt worden, deswegen sind wir ganz froh darüber, dass das Denkmal durch den Zaun ein bisschen geschützt ist. Und wie gesagt, der räumliche Bezug zu Neukölln war uns sehr wichtig, und dass vielleicht auch Jugendliche, die diese Einrichtung besuchen, zufällig da vorbeikommen, fragen, was das passiert ist, und das zum Anlass nehmen zu können, sich mit dem Thema zu beschäftigen, oder vielleicht Lust haben, mehr darüber herauszufinden.

EC: Ja, vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast und dich mit mir zu dem Thema rechter Terror ausgetauscht hast, und auch, was die Falken so alles planen, und die Idee von eurem Denkmal, vielen Dank.

JH: Sehr gerne.

EC: Und mach‘s gut!

Beide: Tschüss!