Erfurt, Frankfurt Oder, Dortmund, Memmingen – Kennst du die Verbindung dieser Städte? – Sie teilen die gleiche Geschichte wie: Hanau, Halle, Hoyerswerda, Utøya und Christchurch. Seht ihr den Zusammenhang? Ja genau, es sind Tatorte rechten Terrors. Orte an denen Menschen ermordet wurden. Die Liste dieser Tatorte ist nahezu endlos. Einige Geschichten kennst du vielleicht, andere nicht. Was diese Anzahl deutlich macht: Rechte Anschläge sind keine Seltenheit. Hier geht es um die Fragen: Wo kommt rechter Terror her? Wieso passieren diese Anschläge? Und was bedeutet das für die Gesellschaft in der wir leben?
Wenn wir von rechtem Terror sprechen, meinen wir damit verschiedene Formen und Ausmaße von Gewalt. Gewalt durch rechts-motivierte Täter*innen. Dies kann bei Beleidigungen auf der Straße anfangen und bei schwerer körperlicher Gewalt oder Mord enden. Dahinter stehen Ideologien wie: Rassismus, Antisemitismus und Sozialdarwinismus. Wir haben Jana Herrmann, ehemalige Bundesvorsitzende der Sozialistischen Jugend – die Falken, dazu befragt. Sie war bereits 2011 Teil des Bundesvorstandes der Falken und beschäftigt sich seit einigen Jahren mit dem Thema rechter Terror. Sie berichtet davon, wie sie von dem Terroranschlag auf Utøya und in Oslo mitbekommen hat und was ihre ersten Gedanken dazu gewesen sind:
“Also ich glaube, das war ein wahnsinniger Schock. Man hat sich natürlich als erstes darüber Gedanken gemacht und Angst gehabt, ob jemand dagewesen sein könnte, den man kennt, und dass jemand betroffen sein könnte, mit dem man vielleicht schon mal irgendwo Zeit verbracht hat. Also man fragt sich dann auch: Sind vielleicht Falken auf diesem Camp gewesen?“
Die Falken und die AUF sind gemeinsam in dem Internationalen Zusammenschluss von sozialistischen und sozialdemokratischen Jugendverbänden organisiert. Beide organisieren politische Sommercamps und haben ihren Ursprung in der Arbeiter*innenbewegung.
“Also damit, dass das eine Schwesterorganisation von uns gewesen ist, war ja auch relativ schnell klar, dass das wahrscheinlich ein rechter Anschlag gewesen ist, und deswegen hat das bei uns ganz ganz große Angst ausgelöst, also die große Sorge, dass man sich jetzt auch gezielt Kinder und Jugendliche als Anschlagsopfer raussucht.“
Der Anschlag auf Utøya richtete sich nicht primär gegen BIPoCs, Jüd*innen, Migrant*innen oder Obdachlose. Er richtet sich gegen die Arbeiter*innenjugendbewegung, als politische Gegner*in von Rechten. Die AUF ist eine politische Gegner*in weil sie sich gegen rechte Ideologien, wie Rassismus und Antisemitismus einsetzten. Besonders an dem Attentat war die Zielgruppe. Die Opfer waren vor allem Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene.
Terror hat das Ziel, bestimmte Menschen zu bedrohen und einzuschüchtern. Menschen in eine Situation zu begeben, in der sie sich permanent bedroht fühlen. In der die Frage nicht lautet, ob etwas passiert, sondern wann etwas passiert. Das Attentat auf Utøya hat nicht nur die AUF verängstigt, sondern auch Ängste in Deutschland ausgelöst. Viele Falkengruppen waren zum Zeitpunkt bereits auf ihrem eigenen Sommercamp oder befanden sich in den Startlöchern auf Sommercamp zu fahren.
“Und ich weiß, dass man damals dachte, weil der Täter ja auch von sich behauptet hat, er sei sehr gut vernetzt, und er sei Teil einer internationalen Bewegung, dass schon die Sorge im Raum stand, es könnten jetzt weitere Anschläge auf andere Zeltlager erfolgen, und sich viele dann überlegt haben, ob sie überhaupt ins Zeltlager fahren können. Einmal weil man so eine konkrete Gefahr vermutet hat, zum anderen aber auch, weil das Ganze so große Wellen geschlagen hat, dass das natürlich auch Eltern von potentiellen Teilnehmer:innen der Zeltlager mitbekommen haben, und die wiederum – also es hatte sich dann relativ schnell herausgestellt, dass sich dieser Verdacht, dass er so gut international vernetzt ist, gar nicht erhärtet, und es wahrscheinlich keine weiteren Anschläge gibt – aber Eltern von Teilnehmer:innen hatten diese Sorge, und dann weiß ich, dass viele Gliederungen dann noch einmal extra Elternabende eingeführt haben, nochmal extra Kontakt mit den Eltern aufgenommen haben, um die Zeltlager überhaupt stattfinden lassen zu können.“
Die Nachricht des Anschlags auf Utøya hatte seinen Wellen geschlagen und viele Eltern und Teilnehmer*innen der Falken waren verunsichert. Das Ziel des Anschlages, Betroffene zu verunsichern ist voll und ganz aufgegangen. Es war nicht nur ein Angriff auf junge Politische Menschen. Und auch nicht nur auf die AUF. Sondern es war ein Angriff auf die Arbeiter*innenjugend war. Jana beschreibt die Intention des Attentats wie folgt:
“Das Ziel dabei ist ja die Leute so zu verunsichern, dass sie aufhören, politisch aktiv zu sein. Oder beispielsweise im Fall, wenn sich rechter Terror gegen Geflüchtete richtet, ist ja auch das Ziel der Täter – diese Leute sollen das Land verlassen, die sollen sich hier nicht sicher fühlen, und deswegen sollen die jetzt verschwinden – und das ist ja in einer Art und Weise auch sehr wirkmächtig, das funktioniert ja auch, und genau das würde ich sagen macht rechten Terror aus. Also man kann nicht nur von Terror sprechen, wenn dabei besonders viele Menschen oder eine bestimmte Anzahl von Menschen gestorben ist, oder wenn bestimmte Waffen verwendet worden sind, sondern dieses Konstrukt, Menschen kollektiv als Gruppe Angst zu machen, das macht den Terror aus.“
Sich von solchen Taten einschüchtern lassen und sich nicht mehr gegen rechtes Gedankengut und rechte Weltbilder zu äußern und einzusetzen, ist daher nur das Ziel rechten Terrors. Daher ist es umso wichtiger, auch wenn es schwer fällt, sich weiter zu engagieren und zusammen zu halten.
“Es hat eine große Sicherheitsdebatte bei uns ausgelöst – und gleichzeitig aber auch das Bewusstsein, dass in solchen Zeiten, wo man als Bewegung angegriffen wird, der Zusammenhalt auch wichtiger wird. Also dass wir mit sowas nicht alleine umgehen wollen, dass wir nicht alle zu hause sitzen wollen, und Zeltlager ausfallen lassen wollen, die für uns so viel bedeuten, sondern dass es jetzt gerade wichtig ist, die Sachen durchzuziehen und sich gemeinsam zu treffen und gemeinsam darüber auszutauschen, weil man mit diesen Ängsten nicht alleine bleiben sollte. Und wir sind ja auch nicht als Einzelpersonen angegriffen worden, sondern die Bewegung ist angegriffen worden. Der Täter hat sich ja damals, das war zu diesem Zeitpunkt ja gar nicht so klar, aber später hat sich ja herausgestellt, der hat das bewusst gemacht, um die Zukunft der – für ihn: Kulturmarxisten – für uns: sozialistischen Bewegung auszulöschen. Es war ja das erklärte Ziel, eine Generation von politischen Aktivisten komplett auszuradieren. Und gerade deswegen ist es, glaube ich, wichtig, sich dagegen zu organisieren und sich nicht einschüchtern zu lassen, weil sonst hat man ja das indirekt auch zugelassen, dass das tatsächlich auch passiert, wenn man sich davon so verunsichern lässt, dass man die politische Arbeit einstellt.“
Ein Attentat, wie das auf Utøya passiert nicht einfach so. Dieses Attentat war nur möglich, weil die gesellschaftliche Stimmung es zulässt. Die endlose Liste mit Namen von Orten, Tatorten, an denen Menschen gestorben sind. Wenn eine Nachricht aufkommt, dass Menschen ermordet wurden, wirken diese Taten meistens spontan.
“Also, ich glaube, dass rechter Terror allgemein erstmal etwas ist, was gesellschaftlich überhaupt nicht ernst genommen wird, weil man davon immer ausgeht, dass jede Tat, die passiert, für sich steht, und der größere Zusammenhang, dass wir eine Gesellschaft sind, die solche Täter produziert, wird, glaube ich, erstmal nicht erkannt“
Rechter Terror scheint zufällig, unvorhersehbar und spontan? Nein, nur für diejenigen die glauben, dass Rassismus oder Antisemitismus in unserer Gesellschaft kaum mehr Thema sind. Rassismus und Antisemitismus sind Themen, über die man nicht spricht. Man kann fast sagen, Themen die sich in der Mainstream Gesellschaft nicht gehören, weil sie gute Stimmung kaputt machen. Wenn also der Grundkonsens ist, wir sprechen nicht darüber, dann ist das der optimale Nährboden für Rechtsextreme ihre Pläne zu schmieden. Die Täter fallen nicht negativ auf, wenn sie sagen: „Die Ausländer bekommen mehr Geld als ich“. Rechte Attentäter berufen sich darauf, den Volkswillen einer vermeintlich schweigenden Mehrheit zu vollstrecken. Und sie handeln nicht allein. Auch wenn an der Oberfläche häufig ein einzelner Täter agiert, stehen dahinter rechte Netzwerke, die die Täter unter anderem mit Waffen versorgen und ihnen ideologischen Rückhalt bieten.
Im Beispiel Rassismus wird erst zum Thema, wenn es gewalttätig wird oder jemand körperlich angegriffen wird.
Ein weiteres Problem besteht durch das offen rechte Agieren der AfD. Die AfD ist die rechte Partei mit der sich ein Großteil der Gesellschaft auch nicht abfinden will. Durch den Fokus auf die AfD wird rassistisches, antisemitisches oder sozialdarwinistisches Verhalten in anderen Kreisen oder Parteien verdeckt. Die Existenz der AfD verschiebt die Messlatte von dem was als rechts gilt. Außerdem treten vermehrt Vorfälle bei dem Verfassungsschutz und der Polizei auf. Bei denen mit Rechtsextremen zusammen zusammengearbeitet haben oder Ermittlung verhindert wurden. Wie zum Beispiel bei dem NSU oder der Polizei in Hanau.
Wir als Falken und Jusos finden es wichtig, diese gesellschaftliche Stimmung wahrzunehmen und darauf aufmerksam zu machen. Rechtes Gedanken, Rechte Sprache, Rechtes Verhalten dürfen nicht geduldet werden. Es dürfen sich keine Strukturen aufbauen, es darf kein zweiten NSU oder einen weiteren Attentat geben. Kein Attentat auf Menschen, die nicht in das rechte Weltbild passen oder die sich gegen Ihre Ideologie aussprechen. Wir glauben dass der Prozess des Erinnerns und Gedenkens dabei helfen kann. Für uns ist Gedenken eine Methode der Prävention. Jana beschreibt uns welche Qualität das Gedenken haben kann:
“Und dabei muss man sich aber bewusst machen, dass es für Menschen, die solche Terroranschläge überlebt haben, oder wo bei denen im Umfeld so etwas passiert ist, sie vielleicht Angehörige verloren haben, dass es für sie wahnsinnig wichtig ist, dass sie gesellschaftliche Solidarität bekommen und dass sie mitbekommen, dass sie nicht die einzigen sind, die denjenigen gedenken, die da gestorben sind. Weil das ist dann immer so ein individualisiertes Denken: Man kannte jemanden und man ist traurig darüber, dass der tot ist. Aber Gedenken ist ja ein Ausdruck von politischer Verantwortungsübernahme. Also man stellt fest, da ist etwas passiert, das ist absolut schrecklich gewesen, und wir übernehmen jetzt die Verantwortung, zu verhindern, dass so etwas noch einmal passiert, indem wir aber auch gleichzeitig unserer Trauer Ausdruck verleihen, dass so etwas passieren konnte.“
Die Falken und die Jusos haben daher dieses Denkmal auf dem Gelände des Jugendhaus Anton Schmaus Haus in Berlin-Neukölln errichtet.
“[…], und wir haben uns deswegen auch bewusst dazu entschieden, das Denkmal an das Anton-Schmaus-Haus in Neukölln zu setzen, weil das ASH auch nicht das einzige Anschlagsziel in Neukölln der letzten zehn Jahre gewesen ist. Also da sind von Politiker:innen über Buchläden bis hin zu Personen, die PoC waren, in Neukölln viele Menschen angegriffen worden. Also es hat Brandanschläge gegegeben, es hat auch einen bis heute nicht aufgeklärten Mord an Burak Bektaş gegeben.”
Burak Bektaş wurde 2012 mit damals 22 Jahren in Neukölln auf offener Straße erschossen. Er war mit zwei Freunden abends unterwegs, die lebensgefährlich verletzt worden sind. Der Fall ist bis heute nicht aufgeklärt. Sein Denkmal wird regelmäßig mit Nazi-Symbolen beschmiert und es hat eine Beschädigung mit Chemikalien gegeben.
Und da könnte man jetzt sagen, das hat nichts miteinander zu tun, das eine hat in Norwegen stattgefunden, das andere hat in Neukölln stattgefunden. Wir sagen, es hat sehr viel miteinander zu tun: Erfurt, Frankfurt Oder, Dortmund, Memmingen – Hanau, Halle, Hoyerswerda und Christchurch haben wir zu Beginn erwähnt. Diese Taten gehören zusammen. Es ist wichtig sie nicht als vereinzelte Taten zu begreifen, sie folgen dem Muster rechter Tendenzen und rassistischem Gedankengut. Diese Gedanken gibt es nicht nur bei Einzelpersonen sondern er befindet sich in der Mitte der Gesellschaft.
Für uns ist das Denkmal ein eine Erinnerung daran, was passieren kann. Ein Appell sich gegen Ideologien aufzulehnen, die annehmen es gebe eine Ungleichheit zwischen Menschen.
“Und gleichzeitig, in dem Moment, wo man da aufhört, für diese Dinge zu kämpfen, haben solche Täter eben ihr Ziel erreicht. Und bei uns organisieren sich ja auch nicht nur Linke, sondern bei uns organisieren sich ja Menschen, die in vielfältiger Art und Weise für das stehen, was diese rechten Täter hassen, also bei uns organisieren sich Menschen, die People of Color sind, Frauen, die einen positiven Bezug zum Feminismus haben, bei uns kann sich jede:r organisieren, unabhängig von Behinderungen oder Einschränkungen, und genau das sind ja Dinge, die solche Täter versuchen anzugreifen“
Hoffentlich fühlst du dich jetzt nicht ohnmächtig. Wenn dir das Thema am Herzen liegt oder du dich fragst was du nun tun kannst. Trau dich etwas zu sagen, sprich mit Menschen die du triffst und schließ dich mit Menschen zusammen, die es genauso sehen. Eine Anlaufstelle können Falken oder Jusos sein.